1041 - Der Rächer
anfangen.«
Kollege Biker stöhnte nur und nickte vor sich hin. »Das kenne ich. Jeden Tag habe ich das gleiche Problem. Ich fange immer wieder von vorn an. Ich drehe mich dabei aber im Kreis und komme nicht weiter. Vielleicht haben Sie mehr Glück.«
»Könnte der Pfarrer denn etwas wissen?«
»Nein, Mr. Sinclair, er weiß nichts. Jedenfalls wird es Sie kaum weiterbringen. Ich habe oft genug mit ihm gesprochen und nichts erreicht.«
»Dann werden wir uns wenigstens ein Bild von ihm machen können«, sagte Suko. »Wie heißt der Mann?«
»Walter Kinsley.«
»Wohnt er weit von der ausgebrannten Kirche entfernt?«
»Ja und nein. Er lebt im Ort. Die Kirche stand etwas außerhalb. Sie war kein Prunkstück, aber die Menschen in Blue Ball waren stolz auf sie, denn sie haben das Gotteshaus mit ihren eigenen Händen errichtet. Sie haben auch Geld gesammelt, und ich könnte mir nicht vorstellen, daß es jemand aus dem Ort gewesen ist, der das Gotteshaus angezündet hat. Die Menschen waren zu sehr involviert. Da muß etwas anderes dahinterstecken.«
Diese Meinung waren wir auch. Etwas anderes, etwas Rätselhaftes und Gefährliches, vielleicht auch Dämonisches.
Suko schaute mich an. Ich kannte den fragenden Blick und nickte ihm zu. »Okay, wir brechen auf.«
»Gut«, sagte Biker. »Dann fahre ich mit Ihnen. Es wird bald dunkel. Werden Sie länger in Blue Ball bleiben?«
»Das hängt davon ab, wie es läuft.«
»Hoffentlich besser als bisher.«
»Wir werden sehen.«
Der Wirt kam, wir beglichen die Rechnungen, und natürlich hatte der Mann zugehört. Als wir auf dem Weg zur Tür waren, sagte er:
»Hoffentlich fassen Sie das Schwein bald!«
»Wir geben uns Mühe, Mister…«
***
Der Wind strich kalt gegen unsere Gesichter. Ich hatte noch immer den Eindruck, den kalten Rauch zu riechen, den der Wind aus den Trümmern der Kirche hervorholte, vor denen wir standen. Zusammengekrachtes, verkohltes Holz. Schwarz und auch glänzend. Da war wirklich kein Balken auf dem anderen geblieben, nur der Steinaltar stand noch und wirkte wie ein makabres Mahnmal, denn die Menschen hatten ihn zu einer Gedenkstätte werden lassen. Auf der Platte lagen frische Blumen, die an das Grauen hier erinnern sollten.
Über uns lag ein schwerer, mächtiger und wolkenbedeckter Himmel wie eine gewaltige Bleiplatte. Die Wolken hatten sich ineinander geschoben und bildeten ein krauses Muster. Es roch nach Regen, und die Temperaturen lagen um fünf Striche über dem Gefrierpunkt.
Wir waren noch nicht nach Blue Ball hineingefahren, sondern direkt zur Kirche. Ich hatte mir einen Eindruck verschaffen wollen, ein erstes Bild von der Zerstörung. Es war nichts aufgeräumt worden.
Die Trümmer der Kirche wirkten wie ein absurdes Denkmal des Schreckens.
»Experten haben das Gebiet hier untersucht«, erklärte Biker, der neben uns stand und seine Hände tief in die Manteltaschen geschoben hatte. »Der Brandstifter hat mit Benzin gearbeitet und es zuvor in der Kirche verteilt.«
Ich sprang darauf an. »Trotzdem sind die Frau und die beiden Kinder hineingegangen?«
»Das müssen sie wohl. Warum und was danach passierte, entzieht sich meiner Kenntnis.«
»Bei den vier anderen ist es ähnlich gewesen«, meinte Suko. »Nur sind da keine Kirchen mehr in Brand gesteckt worden. Er hat sich direkt auf die Priester konzentriert.«
»Wußte er denn mehr als wir?«
»Mr. Biker«, sagte Suko. »Ob dieser Mann mehr wußte oder nicht, keiner kann es sagen. Er mußt etwas gesehen haben, das ihn völlig aus dem Tritt gebracht hat.«
»Den Brandstifter.«
»Möglich. Aber zunächst seine tote Familie.«
»Und er glaubte, daß ein Pfarrer die Kirche angezündet hat. Eine irrige Annahme.«
»Warum ist sie so irrig?«
»Sie werden ja gleich mit dem Pfarrer hier reden, Suko.«
»Und wenn er ein Fremder gewesen ist?«
»Wie?«
»Einer aus dem Nachbarort. Jedenfalls ein Pfarrer. Rechnen müssen wir mit allem. Ich gehe davon aus, daß dieser Mann nicht wahllos Priester tötet. Er muß einfach etwas gesehen haben, das ihn zu diesen Taten verleitete.«
»Den Mörder. Einen Priester.«
»Vielleicht.«
Biker schüttelte den Kopf. »Will mir nicht einleuchten. Man hat in dieser letzten Zeit viel über Priester gehört und gelesen. Über ihre Verfehlungen, die von einer einschlägigen Presse mit großem Genuß aufgenommen wurden. Das alles ist mir nicht unbekannt. Aber diese Taten waren menschlich, man kann sie noch nachvollziehen, doch etwas, das begreife ich
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