1044 - Die Braut des Engels
Seite, aber ich sah nichts. In diesem zweigeteilten Gesicht rührte sich nichts.
Nur der wechselnde Strom blieb gleich und erwischte auch mein Kreuz, so daß die Hitze und die Kälte über meine Handfläche tanzten, als wollten sie die Haut zuerst verbrennen und diese Brandflecken danach löschen.
Ich trat völlig normal auf dem Boden auf. Trotzdem kam es mir vor, als würde ich über etwas Weiches gehen und mich bei jedem Schritt leicht abstoßen.
Die Gestalt war nicht aus den Regionen des Himmels erschienen, aber auch nicht aus der Hölle. Sie mußte in einer Zwischenwelt gelebt haben und war sicherlich auch in der Lage, sich dorthin wieder zurückzuziehen.
Mein Herz schlug schnell. Ich merkte, wie die Spannung wuchs.
Das Wechselspiel auf meinem Kreuz blieb.
Heiß – kalt. Kalt und heiß…
Ich atmete rascher.
Noch trennten mich knapp zwei Schritte. Die Ausstrahlung hatte sich nicht verstärkt, und ich merkte, daß etwas passieren würde.
Mein Kreuz kündigte es mir an.
Hitze und Kälte verstärkten sich noch, als hätten sie einen Schub erhalten.
Im nächsten Augenblick leuchtete die Gestalt auf. Ein grelles Licht erreichte mich, daß ich geblendet wurde. Bevor ich etwas unternehmen konnte, sah ich, wie die Gestalt vor mir von diesem grellen Lichtkreuz geschluckt wurde. Er war so mächtig und stark, daß er sie verschwinden ließ.
Das Kreuz in meiner rechten Hand veränderte sich ebenfalls. Auf der einen Seite wurde es kochend heiß, auf der anderen eisigkalt. Es rutschte mir von der Hand, und ich glaubte, daß mir jemand den Boden unter den Füßen wegzerrte.
Ich kippte nach hinten und fiel.
Das Licht explodierte.
Oder war es mein Kopf?
Genau wußte ich es nicht, denn eine andere Kraft zerrte mich hinein in die Bewußtlosigkeit. Mein letzter, klarer Gedanke galt der ersten Begegnung. Ich wußte, daß ich einen Fehler begangen hatte. Zuviel Respekt, eine zu große Überraschung.
Dann dachte ich nichts mehr…
***
Als nächstes spürte ich etwas an meinem Gesicht. Fast so feucht wie eine Hundezunge und verbunden mit leicht klatschenden Geräuschen. Im Hintergrund war eine Stimme zu hören, die sich in den folgenden Sekunden verstärkte.
»John! Ich bin es doch! John, es ist alles wieder in Ordnung! Der andere ist weg…«
Es war Evita Munoz, die zu mir gesprochen hatte. Sie sah auch, daß ich die Augen öffnete, und war froh darüber, wie sie mir flüsternd erklärte.
Dann schob sie die Hände unter meine Schultern und wollte mir hochhelfen. Von hinten her beugte sie sich nach vorn, und ich konnte in ihr Gesicht schauen.
Der besorgte Ausdruck verschwand aus den Augen, als sie mein Lächeln sah.
»Alles klar, John?«
»Fast.«
»Weißt du überhaupt, was geschehen ist?«
»Es hat mich umgehauen. Da war plötzlich ein grelles Licht.« Die Erinnerung war bei mir sofort da. »Ich hatte das Gefühl, darin hineinzufliegen und kam mir gleichzeitig vor, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggerissen worden.«
»Das war er.«
Ich setzte mich hin, was auch einigermaßen klappte. Der leichte Schwindel verschwand sofort. Ich hatte mir auch keine Verletzung zugezogen beim Aufprall. Als wäre ich auf ein federweiches Kissen gefallen. Dann schaute ich dorthin, wo ich die Gestalt zuletzt gesehen hatte. An der Wand hatte dieses von Extremen gezeichnete Wesen gestanden, nun aber war sie leer. Es gab nichts mehr zu sehen.
Wer immer sich dort aufgehalten hatte, es war ihm gelungen, sich wieder in sein Reich zurückzuziehen, über das ich natürlich nachdachte oder nachdenken wollte, denn die Stimme des Mädchens störte mich.
»Willst du nicht aufstehen, John?«
»Ja, natürlich.« Ich erhob mich. Erst jetzt fiel mir auf, daß ich noch mein Kreuz in der rechten Hand hielt. Ich lehnte mich gegen die Wand und schaute meinen Talisman an.
Es fiel mir nicht leicht, weil ich damit rechnete, daß sich das Kreuz verändert hatte, aber das war zum Glück nicht der Fall. Es sah nach wie vor aus wie sonst. Keine Schatten auf den Zeichen, keine Kälte und auch keine Hitze.
Wie ein Phantom war die andere Gestalt gekommen und auch so verschwunden.
Als Evita meinen Blick auf sich gerichtet sah, schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß, was du fragen willst, John, aber ich kann dir nicht helfen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe nichts sehen können. Ich… ich … habe mich auch zurückgezogen, und ich kenne sie nicht, verstehst du?« Sie hob die Schultern. Ihre dunklen Augen füllten sich mit Tränen.
Weitere Kostenlose Bücher