1044 - Die Braut des Engels
nicht mehr sie selbst. Die fremde Macht hatte sie voll und ganz übernommen. Beide spürten, wie mit ihnen gespielt wurde. Sie selbst wären nicht mehr in der Lage gewesen, sich normal zu bewegen oder auch die Türen des Wagens zu öffnen.
Die aber flogen auf.
Von selbst.
Kalte Luft drang in den Golf, ohne daß Sarah und Jane etwas davon merkten. Sie standen einfach zu sehr unter dem Einfluß der fremden Macht. Ein Zurück aus eigener Kraft gab es für sie nicht.
Das Licht wanderte. Es glitt als sich irrsinnig schnell drehender Kreis auf den Wagen zu. Und innerhalb dieses Lichtrads, genau in der Mitte, zeichnete sich die Gestalt ab, die dieser Drehung widerstand. Für sie schienen die Kräfte der Physik aufgehoben zu sein.
Jane lebte. Sarah lebte. Nur waren beide Frauen nicht in der Lage, aus eigener Kraft den Wagen zu verlassen. Das Licht hatte ihnen Fesseln angelegt, und sie kamen sich vor wie in einem hellen Gefängnis. Es war nicht möglich, selbst etwas zu unternehmen, die andere Kraft sorgte dafür, daß sie sich bewegten.
Die Frauen wurden geholt!
Wie von selbst lösten sich die Gurte und glitten an ihren Körpern vorbei in die Höhe. Jetzt waren sie frei. Jane schwang durch die rechte Fahrertür nach draußen, als wäre sie von unsichtbaren Händen getragen worden. Kaum hatte sie den Wagen verlassen, da wurde sie auf die Füße gestellt und blieb auch auf dem Fleck stehen.
Mit Sarah Goldwyn war das gleiche geschehen. Auch sie glitt aus dem Fahrzeug, ohne daß sie selbst etwas dazu tun mußte, denn sie war ebenfalls nicht in der Lage, sich selbst zu kontrollieren.
Die Frauen wurden gelenkt. Noch bewegten sie sich nicht. Wie Statuen hielten sie sich neben dem Golf auf, als warteten sie darauf, daß etwas passierte.
Das trat tatsächlich ein.
Das Licht drängte noch stärker in sie hinein, und es bedrängte sie auch. Wie abgesprochen, bewegten sie sich gleichzeitig voran. Sehr langsam und genau. Immer einen Fuß vor den anderen, so kamen sie weiter. Mit offenen Augen, ohne etwas zu erkennen. Der sich drehende Lichtkreis zog sie an. In der Mitte wartete die Gestalt.
Mensch? Geist? Oder noch etwas anderes? Keine der Frauen konnte diese Frage beantworten. Der sich drehende Lichtkreis war unerbittlich und ließ sie nicht aus seinem Bann.
Sie trafen vor dem Golf zusammen. Ihre Hände fanden sich wie die von Liebenden. Ohne daß sie auch nur ein Wort sagten, näherten sie sich dem Zentrum.
Sarah Goldwyn und Jane Collins schritten hinein in das wartende Licht. Als sie die Grenze passierten, leuchteten die Umrisse ihrer Gestalten für einen Moment auf, als sollten sie noch einmal nachgezeichnet werden.
Danach war es vorbei.
Ein letztes Flirren der Körper. Dann glühte das Zentrum plötzlich auf, als wollte es die Beute verbrennen. Sarah und Jane hatten das Tor zu einer anderen Welt durchschritten und die Dimensionen der Erde verlassen.
Das rotierende Lichtrad stand nicht mehr lange auf dem Fleck. Es drehte sich noch einmal und löste sich dann ebenso schnell auf wie es erschienen war.
Dunkelheit senkte sich über den kleinen Ort. Niemand der Bewohner hatte etwas gesehen oder sehen wollen. Es war besser, wenn man die Augen schloß und nichts mitbekam…
***
Mit dem Wetter hatten wir Glück gehabt. Es hätte uns im Dezember auch anders erwischen können. Doch die warme Luft aus Südwesten hatte für Temperaturen über dem Gefrierpunkt gesorgt, und an Schnee oder Glatteis war überhaupt nicht zu denken.
So etwas kam uns gelegen. Denn von London bis Cornwall war es kein Katzensprung.
Wir waren in der Nacht schon gestartet. Evita Munoz, unsere vierzehnjährige Begleiterin, hatte sich von ihrer Mutter erst gar nicht verabschiedet. Sie hatte bis weit nach Mitternacht in einer Bar gearbeitet und war froh gewesen, schlafen zu können.
Evita hatte auch Suko kennengelernt und ihn sofort als sehr sympathisch eingestuft. Er war es auch, der fuhr, während ich auf dem Beifahrersitz hockte und noch ein wenig schlief. Hinter uns lag Evita lang auf dem Rücksitz und hielt die Augen ebenfalls geschlossen.
Ein leises Schnarchen bewies uns, daß sie schlief.
Unser Ziel war Temple, die Heimat der sogenannten Engelkinder.
Und mit einem Engelkind hatte der Fall auch begonnen.
Am vergangenen Abend war es gewesen. Aus der sechsten Etage des Hauses, in dem auch Suko und ich wohnten, hatte sich eine junge Frau aus dem Fenster gestürzt. Sie hatte den Helfern der Feuerwehr keine Chance mehr gegeben, und auch ich hatte
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