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1049 - Der Geist des Vaters

1049 - Der Geist des Vaters

Titel: 1049 - Der Geist des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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klar?«
    »Ja, das ist es.«
    Der Konstabler bewegte sich. Wieder ging er so steif, als wäre er eine Puppe. Er fühlte sich auch nicht mehr als Mensch. Mehr wie eine Person, deren Blut geronnen war.
    Vor der Tür blieb er noch sekundenlang stehen und holte durch die Nase Luft. Er kam sich so verdammt leer vor. Nichts paßte mehr zusammen. Die Welt hatte ihre Regeln verloren.
    Wie oft habe ich die verdammte Tür geöffnet und bin nach draußen gegangen, dachte er. Eine Handlung, die ihm nie bewußt geworden war. Sie war einfach zu normal gewesen, zu gleich. Aber jetzt fühlte er sich wie ein Mensch, der an der Schwelle zu einem neuen Dasein stand. Alles war anders geworden. Es gab für ihn keine normalen Perspektiven mehr. Er kam sich wie eingeschlossen in einem Bild eines abstrakten Malers vor, bei dessen Motiv die Grenzen verschoben worden waren und zunächst wieder zurechtgerückt werden mußten.
    Er öffnete die Tür.
    Daß er es getan hatte, war ihm kaum bewußt geworden. Erst als ihn die kalte Luft erwischte, wurde ihm klar, daß er den relativ schützenden Raum verlassen hatte.
    Er stand auf dem Gehsteig. Er stand in Lauder. Es war alles wie immer. Trotzdem kam er sich vor wie in der Fremde. Als wäre der Ort ein großes Kunstgebilde. Der Atem kondensierte vor seinen Lippen und flatterte fahnengleich davon.
    Die Drehung nach links.
    Diese Bewegung war von dem »Toten« bemerkt worden, denn auch er drehte sich. Nur in die entgegengesetzte Richtung.
    Beide starrten sich an.
    Auf der einen Seite ein lebender Mensch, auf der anderen ein lebender Toter - oder?
    Der Konstabler wußte nicht, wie er handeln sollte. Er war ein Gefangener seines eigenen Ichs. Er wußte, daß er etwas unternehmen mußte, doch wie sollte er es schaffen?
    Das Licht reichte aus, damit sich beide erkennen konnten. Bull fragte sich, was Nico Goodwin als Toter überhaupt von ihm sah. Und der junge Mann war tot, das stellte er deutlich fest. In der kalten Luft hätte der Atem vor den Lippen sichtbar werden müssen. Das war jedoch nicht der Fall.
    Nico atmete also nicht!
    Der Konstabler stöhnte auf. Plötzlich fiel ihm wieder die Waffe ein. Sie war mit normalen Kugeln geladen. Einen Menschen hätte er damit in den Tod schicken können. Einen Zombie sicherlich nicht. Das war ihm bekannt. John Sinclair und er hatten schon über derartige Phänomene gesprochen.
    Ich muß reden, dachte Bull. Ich muß versuchen, ihn zu einer Reaktion zu verleiten. Ich möchte wissen, was mit ihm geschehen ist. Er soll es mir erzählen, verdammt!
    Bull suchte nach den passenden Worten. Viel kam ihm nicht in den Sinn. Nur eine recht simple Frage.
    »Wer bist du?«
    Der andere lächelte plötzlich hölzern. »Verdammt, wer bist du?«
    »Nico. Ich bin Nico Goodwin…«
    Der Konstabler hatte die Antwort bekommen. Er wäre normalerweise auch nicht überrascht gewesen, hätte es da nicht etwas gegeben, daß ihn beinahe von den Füßen gerissen hätte.
    Die Stimme! Es war die Stimme. Sie gehörte nicht Nico Goodwin. Dafür einer Person, die schon seit fast einem Jahr unter der Erde lag.
    Horace F. Sinclair!
    ***
    Ja, ich sah meinen Vater, und ich hatte zugleich das Gefühl, ersticken zu müssen. Es war so schrecklich und unfaßbar. So unglaublich und trotzdem eine Tatsache.
    Das Licht zeigte ihn mir in allen Einzelheiten. Er war noch nicht völlig verwest, aber die lange Zeit im Grab hatte bereits Spuren hinterlassen. Die Haut hatte sich natürlich verändert. Durch die Farbe des Lichts wirkte sie anders als sie es in natura gewesen war. So kalt und leicht bläulich, auch so dünn, sehr dünn sogar.
    Der Weg zur Verwesung des Körpers war freigeworden. Den Kopf und das Gesicht gab es noch. Es war viel kleiner geworden, und auch das volle Haar war nicht mehr vorhanden. Die Nase und das Kinn traten spitz hervor. Mein Vater besaß nichts Individuelles mehr. Er war auf dem Weg zu dem, was letztendlich alle Leichen wurden.
    Zum Skelett!
    Noch lagen die Knochen des Gesichts unter der Haut versteckt. Doch sie war so dünn und auch an einigen Stellen schon gerissen. In der Nähe des offenstehenden Mundes zum Beispiel, da schimmerte etwas Weißes hervor. Auch an der Stirn zeigte sie schon die ersten Risse. Die Augen waren seltsamerweise nicht geschlossen. Sie standen weit offen und glotzten starr in die Höhe, als wollten sie mich, eben nur mich außerhalb des Grabes anstarren und mir eine Botschaft übermitteln.
    Ich bewegte mich nicht. Der erste Schreck war vorbei, der Schock

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