105 - Das indische Tuch
Stirling zurückgekehrt.
Sonst erfuhr Tanner von Scotland Yard noch, daß während der fraglichen Zeit nur eine Pfeife der Marke Ursus verkauft worden war. Ein Tabakhändler, dessen Laden in der Nähe des Bahnhofs King’s Cross lag, hatte gerade sein Geschäft geöffnet, als ein Mann, der nach der Beschreibung sofort als Tilling zu erkennen war, eine solche Pfeife bei ihm verlangte.
Totty verbrachte den Abend in dem Zimmer Mr. Kelvers, und das Gespräch drehte sich natürlich um die aufregenden Ereignisse der letzten Zeit.
»Ein paar merkwürdige Diener haben Sie hier«, meinte Totty.
»Ja, da mögen Sie recht haben«, erwiderte der Butler ironisch. »Ich habe allerdings nur wenig mit ihnen zu tun.«
Kelver hatte Dr. Amersham wohl oft gesehen, konnte aber dem Sergeanten über den Charakter des Mannes nur das sagen, was er von Studd gehört hatte.
»Er war nicht gerade sehr freundlich und zuvorkommend nach allem, was mir der Chauffeur erzählte. Aber ich habe ja schon immer gesagt, auf dieser Welt gibt es die verschiedensten Leute.«
»Stimmt«, versicherte Totty. »Ist es hier eigentlich einmal zu einer Schlägerei gekommen?«
Als er das erstaunte Gesicht des Butlers sah, erklärte er ihm, wie er das meinte. Kelver sagte zwar zuerst, er wolle nicht über die Angelegenheiten seiner Herrschaft sprechen, aber dann tat er es doch.
»Eines Morgens kam ich in die Halle, und da sah es tatsächlich so aus, als ob ein Kampf stattgefunden hätte. Verschiedene der großen Spiegel waren zerbrochen, ebenso einige Stühle, und Scherben von Weingläsern lagen auf dem Boden. Außerdem hatte Gilder ein blaues Auge. Von Studd habe ich dann erfahren, daß auch Dr. Amersham etwas abbekommen hatte.«
Kelver ging zur Tür, öffnete sie und sah hinaus, dann schloß er sie wieder und fuhr mit leiser Stimme fort:
»In diesem Haus stimmt etwas nicht. Der junge Lord wird behandelt, als ob er überhaupt nichts zu sagen hätte. Wenn er einen Wunsch hat, achtet man nicht darauf, und er wird hier in seinem eigenen Hause eigentlich wie ein Gefangener gehalten.«
Nachdem er diese wichtige Äußerung getan hatte, trat er einige Schritte zurück, um den Eindruck seiner Worte zu beobachten.
Totty sah ihn überrascht an.
»Sie lassen ihn niemals aus den Augen«, fuhr Kelver fort.
»Und ich kann Ihnen nur das eine sagen: Ich selbst habe Instruktionen von Mylady erhalten, die mir durchaus nicht recht sind. Auf jedes Telefongespräch muß ich achten, das der junge Lord führt, und, wenn möglich, ihn dabei belauschen. Wenn er irgendeinen Diener hat, dem er Vertrauen schenken kann, wird der schleunigst wieder entlassen. Soviel ich weiß, hatte er drei Kammerdiener hintereinander, und allen dreien wurde gekündigt. Der einzige, mit dem er auf freundschaftlichem Fuß stand, war Studd, und soweit ich den kannte, hätte er alles für seinen Herrn getan.«
Kelver machte eine Pause.
»Und dann wurde Studd eines Morgens ermordet aufgefunden«, fuhr er fort. »Ich habe noch nie vorher meine Meinung darüber geäußert, und ich verlasse mich auf Sie, Inspektor Totty – es ist doch richtig, wenn ich Inspektor sage?«
»Ja, ganz richtig«, erklärte Totty ernst.
»Sie dürfen aber nichts davon weitererzählen. Hier im Hause walten unheimliche, unsichtbare Kräfte. Die Zustände hier fallen mir auf die Nerven, und ich würde gern ein Monatsgehalt geben, wenn ich schon heute abend wegkönnte.«
Plötzlich sprang Totty auf, und auch Kelver erhob sich rasch. Beide hatten den entsetzten Schrei einer Frau gehört. Mit zwei Schritten war der Sergeant an der Tür.
Ein enger Gang führte weiter ins Haus hinein. Links davon befand sich eine Treppe, die für die Dienerschaft bestimmt war. Totty hörte jemand laufen; gleich darauf stürzte Isla die Treppe herunter und wäre gefallen, wenn Totty sie nicht aufgefangen hätte.
Sie war einem Zusammenbruch nahe.
»Was ist denn los, Miss Crane?«
Sie sah nur entsetzt die Treppe hinauf.
»Werden Sie verfolgt? Kelver, halten Sie die junge Dame.«
Der Sergeant eilte hinauf, blieb aber auf der vierten Stufe stehen. Auf dem oberen Podest zeigte sich Gilder.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er mit seiner tiefen rauhen Stimme.
»Kommen Sie einmal her. Was ist denn mit Miss Crane?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich hörte jemand schreien und kam sofort aus meinem Zimmer, um nachzusehen, was es gäbe.«
Langsam stieg er die Stufen hinunter, bis er in den engen Gang kam, und starrte dann düster
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