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105 - Das indische Tuch

105 - Das indische Tuch

Titel: 105 - Das indische Tuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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Decke über die Schultern und streifte sie dann wieder ab. Schließlich begann sie zu träumen, aber nur von Wünschen und Gedanken, die sie in wachem Zustand zurückdrängte. Die Dinge, die sie vergessen wollte, kamen jetzt zum Vorschein. Wie töricht war es doch von Lady Lebanon, das indische Tuch in der Schublade liegenzulassen! Dieser Tanner konnte doch den Schreibtisch durchsuchen, dann mußte er es finden!
    Das Tuch mußte verbrannt werden! Isla merkte nicht, daß sie aufstand, und als sie ihre Tür aufschloß, fühlte sie den Schlüssel nicht in ihrer Hand. Das Tuch mußte verbrannt werden, das kleine, rote Seidentuch mit dem Metallstück in der Ecke.
    Tanner hörte das Schnappen des Schlosses, als er Ferraby gerade Instruktionen erteilte, eilte an die Treppe und sah hinauf.
    »Ruhe!« sagte er dann leise.
    Sie rührten sich nicht, als die helle Gestalt langsam die Treppe herunterkam. Isla starrte geradeaus; die Hände hatte sie ausgestreckt, als ob sie sich an einer unsichtbaren Mauer entlangtastete.
    »Es muß verbrannt werden«, sagte sie dauernd vor sich hin.
    Totty wollte gerade etwas äußern, aber Tanner brachte ihn durch einen scharfen Blick zum Schweigen.
    Endlich hatte sie die untersten Stufen der Treppe erreicht und ging mit unsicheren Schritten auf den Schreibtisch zu.
    »Es muß verbrannt werden«, wiederholte sie in dem gleichmäßig monotonen Ton, den alle Schlafwandler haben. »Wir müssen das Tuch verbrennen.«
    Sie faßte nach der Schublade. Das Fach war verschlossen, aber in ihrer Einbildung hatte sie es geöffnet.
    »Das Tuch muß verbrannt werden – sie haben ihn damit umgebracht. Ich sah es in ihrer Hand, als sie ins Haus traten. Sie haben ihn damit ermordet, es muß verschwinden.«
    Wieder ging sie zur Treppe. Ferraby machte einen Schritt auf sie zu, aber Tanner packte ihn bei der Hand und zog ihn zurück. Langsam stieg sie die Stufen hinauf. Der Chefinspektor folgte ihr und beobachtete, daß sie wieder in ihr Zimmer ging. Die Tür fiel leise zu, und das Schloß schnappte ein.
    Tanner konnte sich denken, mit wem sie im Traum sprach.

24
    Der Chefinspektor hörte, daß sich eine andere Tür öffnete. Lady Lebanon trat heraus, noch vollständig angekleidet.
    »War das nicht eben Isla?«
    Er nickte.
    »Ist sie wieder im Schlaf umhergegangen? Das ist doch recht traurig. Wo haben Sie das junge Mädchen gesehen?«
    »Sie kam in die Halle herunter.«
    Lady Lebanon holte tief Atem.
    »Sie ist ziemlich angegriffen. Ich schicke sie wohl am besten für einen Monat aufs Land.«
    »Haben Sie die junge Dame schon einmal in diesem Zustand gesehen?«
    »Schon zweimal. Das schlimmste ist, daß sie dann den größten Unsinn redet. Hat sie heute auch etwas gesagt?«
    »Nichts, was ich hätte verstehen können.«
    Sie schien beruhigt zu sein.
    »Gute Nacht, Mr. Tanner. Ich werde später mit Isla sprechen. Es ist nicht gut, wenn man sie sofort aufweckt. Wenn man es aber unterläßt, besteht die Möglichkeit, daß sie aufs neue umherwandelt.«
    Tanner kehrte nachdenklich in die Halle zurück. Auf die beiden Sergeanten hatte der Vorfall großen Eindruck gemacht.
    »Fahren Sie zum Gasthaus«, wandte sich Tanner an Totty, »und sehen Sie nach, ob sich Mrs. Tilling so weit beruhigt hat, daß man mit ihr sprechen kann.«
    Totty ging sofort.
    »Was sagen Sie dazu, Ferraby? Allem Anschein nach weiß sie, wer den Mord begangen hat.«
    »Ich fürchte, Sie haben recht. Es bleibt allerdings immer noch die Möglichkeit offen, das Miss Crane träumt. Auf jeden Fall weiß sie aber, daß das rote Seidentuch heute verbrannt worden ist, und vielleicht vermutet sie, daß es vorher in der Schublade lag. Man kann Leuten keinen Vorwurf aus dem machen, was sie im Schlaf sagen.«
    »Ich will ja auch gar nichts gegen die junge Dame sagen. In dem Punkt können Sie ganz beruhigt sein.« Tanner nahm eine Zigarre aus dem Kasten, den Gilder auf dem Tisch hatte stehenlassen. »Wenn der böse Diener sie nicht vergiftet hat, müßte sie gut sein.«
    »Was war denn in dem Whisky, den er Lord Lebanon brachte?«
    »Er hatte ein Schlafmittel hineingemischt. Ich glaube sogar, daß ich es kenne.«
    »Warum hat er das getan?«
    »Lord Lebanon war davon überzeugt, daß sie für die Nacht etwas planen. Er hat mir zwar nicht gesagt, wer die ›sie‹ sein sollen, aber das können wir ja leicht ahnen. Allem Anschein nach geben sie ihm in solchen Fällen einen Schlaftrunk, damit sie nicht gestört werden. Ich wünschte nur, er hätte ihn

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