105 - Der Leichenfledderer
Gewißheit, daß seine Leiden einen Sinn hatten, wartete auf die Chance, die ihm der Große Geist gegeben hatte.
Und diese Chance kam.
Am dritten Tag starb Ta-Ko-Te. Doch seine Seele ging nicht in die ewigen Jagdgründe ein. Sein geheimnisvoller Lebensfunke war dazu verdammt, in der verdorrten, sterblichen Hülle zu bleiben. Er sah sich für einen kurzen Augenblick im Sonneninferno daliegen, angepflockt und verbrannt wie eine uralte Mumie. Er wollte sich treiben lassen, um in den ewigen Strom allen Seins einzugehen, wollte zu den Seelen seiner Väter kommen. Doch die Macht des Großen Geistes, der sich Olivaro nannte, war stärker.
Ta-Ko-Te war ein lebendiger Leichnam.
Die Geier wagten sich nicht an ihn heran. War die Macht des Schamanen im Tode noch größer geworden?
Dann sprangen zierliche Känguruhratten heran. Sie kamen wie auf einen unhörbaren Befehl und nagten Ta-Ko-Tes Fesseln durch.
Es dauerte unendlich lange, bis er sich aufgerichtet hatte. Seine verbrannten Gelenke knackten, und ein Schwall heißer Luft jagte durch seine Kehle. Es klang, als würde man einen rissigen, altersschwachen Blasebalg mit Luft füllen.
Ta-Ko-Te stand hochaufgerichtet in der Sonnenglut. Er war so tot wie die Felsen des Plateaus, doch er konnte sich bewegen; und der Gedanke nach Rache trieb ihn an. Er nahm seine Umgebung wie durch einen blutroten Schleier wahr. Die Konturen waren unscharf. Sie flimmerten, als würde der Schamane durch das Feuer der Verdammnis blicken.
Er hielt das Skalpmesser in der Hand und ging nach Westen. Dort lag Deadwood, die Stadt der verhaßten Bleichgesichter.
In Deadwood brannten die Petroleumlampen und lockten Myriaden stechwütiger Insekten an. Vor dem Haus des Leichenbestatters standen ein paar offene Särge. Die Erschossenen lagen mit verrenkten Gliedmaßen darin, stumm und reglos; wachsbleiche Gesichter, von denen man das Blut abgewaschen hatte.
Deadwood war die Hölle am Rande der Wüste.
Sie feierten den Sieg über die Rothäute. Nuggets wechselten die Besitzer, und wenn einer gegen die Regeln verstieß, mußte er um sein Leben kämpfen.
Sheriff Baxter hatte längst aufgegeben, Ordnung in das Chaos bringen zu wollen. In Deadwood regierte das Faustrecht. Daran würde er vorerst nichts ändern können. Baxter vertrat die Ansicht, daß man den rauhen Burschen Zeit zum Austoben geben mußte. Natürlich gab es Opfer. Aber um diese Burschen weinten keine Frauen und Kinder. Niemand würde sie vermissen, wenn man sie im namenlosen Grab von Deadwood verscharrt hatte. Ihre Wertsachen wechselten den Besitzer - das war alles. Sie waren Narren, die für ein paar Dollar alles aufs Spiel setzten.
Nach Sonnenuntergang hockten sie im rauchigen, stinkenden Saloon. Sie vergaßen den Dreck draußen, vergaßen, wer sie waren und wo sie waren. Sie tranken schlechten Whisky und pokerten um die Nuggets des Schamanen.
„Ein Nugget, Süßer", flötete Lily Masters und setzte ihr verführerisches Lächeln auf, „und ich gehöre heute nacht dir."
Der Mexikaner nahm die Hand der Frau von seiner Schulter und legte eine Karte ab.
„Später. Zuerst das Geschäft, dann die Liebe."
Der scharfe Geruch des auf Holzkohle gebrannten Whiskys vermischte sich mit den parfümierten Ausdünstungen der Frau. Sie hatte das Gesicht grell angemalt. Die blonde Perücke war verrutscht, so daß man die dunklen Hautflecken sah, die von ihrer Quecksilberkur herrührten. Mädchen wie Lily konnten froh sein, wenn sie diese Roßkur lebend überstanden. Ein anderes Mittel gegen die Liebeskrankheit gab es aber nicht.
Das Klavier klimperte. Von draußen trug der Wind das Heulen der Kojoten herein. Irgendwo schnaubte ein Pferd.
Cuchillio nahm eine neue Karte. Er stieß einen mexikanischen Fluch aus und biß dem Zigarillo das Mundstück ab. Die anderen musterten ihn argwöhnisch. Bei dem Mexikaner wußte man nie, ob er bluffte oder wirklich Pech hatte.
„Schieb deinen Nugget schon mal rüber!" schnarrte der rothaarige Ire und goß sich das Glas randvoll mit Whisky. „Mach schon, sonst zieh ich dir den speckigen Poncho über den verlausten Schädel, Pfefferfresser!"
Cuchillio sagte nichts. Seine grauen Augen, bestürzend hell in seinem sonnenverbrannten Gesicht, sprachen eine deutliche Sprache.
„Deck schon auf!"
Cuchillio schüttelte hartnäckig den Kopf.
„Du bluffst, Amigo. Gib's zu! Du hast ein verdammt schlechtes Blatt."
Cuchillio nahm den Sombrero vom Kopf und wollte die Nuggets, Dollar und goldenen Uhren einfach
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