105 - Der Leichenfledderer
Hinter ihm hatten die Kugeln große Löcher in die Bretterwand gerissen. An den Splittern hingen die Fetzen eines indianischen Ponchos.
Draußen blitzte es. Bläuliches Licht raste über die Dächer. Wenige Sekunden später folgte ohrenbetäubender Donner. Er ließ die Häuser bis in die Grundfesten erbeben.
Als sich die Männer umdrehten, sahen sie mitten auf der Straße den Schamanen stehen. Er bewegte sich ruckhaft vorwärts. Sein Skalpmesser spiegelte die Blitze wider.
Auf der anderen Straßenseite stand McDude. Der Mann schrie etwas, doch das Donnern übertönte seine Worte. Mit vor Angst geweiteten Augen sahen die Männer, wie der Schamane den Mann skalpierte, ihm das Nugget wegnahm und es seelenruhig in den Lederbeutel steckte.
„Allmächtiger! Das - das darf doch nicht wahr sein!"
„Bin ich betrunken?" fragte sich ein anderer.
„Nein", erwiderte sein Partner keuchend. „Das war der Schamane. Ich habe ihn deutlich gesehen." „Er lebt also noch."
Sie rannten ins Freie. Kalte Luft schlug ihnen entgegen. Der heranwehende Staub brannte in ihren Augen. McDude lag in einer Blutlache. Der Schamane war verschwunden.
„Wie viele sollen noch sterben? Bleibt zusammen, Männer! Wir müssen die verflixte Rothaut durchlöchern. Es muß schnell gehen, sonst ist alles aus."
Die Angst griff mit kalter Hand nach ihnen. Sie hatten die glühenden Augen des Schamanen gesehen. Nicht, daß sie besonders abergläubisch waren, aber sie wußten alle, daß Ta-Ko-Te auf dem Plateau gestorben war.
„Ich sage euch, der Kerl ist tot. Das ist ein höllisches Gespenst, das sich an uns rächen will."
Ein paar Männer rannten zum Pferdestall hinüber. Obwohl sie wußten, daß ein Ritt durch die Sturmhölle lebensgefährlich war, wollten sie so schnell wie möglich aus Deadwood verschwinden. Dem nächsten Blitzschlag folgte ein mörderisches Bersten und Prasseln.
„Es hat eingeschlagen."
Hinter den düsteren Dächern loderte rötlicher Feuerschein empor. Der Wind entfachte die Flammen und trieb den Qualm auseinander.
Das Wiehern der Pferde verriet den Männern, daß der Pferdestall brannte. Als sich ein paar Tiere losreißen konnten, zerschmetterten sie das Tor mit den Vorderhufen und preschten ins Freie. Während die vor Angst halb verrückten Pferde über die Mainstreet galoppierten, fand der Schamane sein nächstes Opfer. Der Barbier hatte sich vor drei Tagen ebenfalls an der Jagd nach den letzten Mohaves beteiligt. Er verbarrikadierte gerade sein Geschäft, als der Unheimliche über den hölzernen Gehsteig näher kam. Barbier Frank Olsen ließ das Brett fallen, das er eben noch quer über das Fenster hatte nageln wollen. Blitze zuckten herab und erhellten die Straße.
Die glühenden Augen des Schamanen hefteten sich auf Olsen. Der Mann hatte das Gefühl, sie würden ihn sezieren.
„Was willst du? Ich habe nicht auf deine Leute geschossen. Ich war nur dabei."
Olsen wich zurück, bis er das Geländer im Rücken spürte.
„Nein! Faß mich nicht an!"
Der Schamane packte ihn am Kragenaufschlag seiner Kittelschürze. Mit einem Griff hatte er ihm das Nugget aus der Tasche gezogen.
„Dein Gold willst du wiederhaben? Na klar. Nimm's nur! Aber laß mich gehen! Mehr habe ich nicht."
Das Skalpmesser des Schamanen blitzte auf. Olsen schrie erstickt und kippte hintenüber. Das Geländer fing seinen Sturz auf. Sein Blut tropfte in den Staub der Mainstreet.
Auf der anderen Straßenseite verfolgten zwei Männer das schaurige Treiben des Schamanen. Im Lichtschein der Blitze erschien ihnen das Geschehen wie ein bruchstückhaft aneinandergeflicktes Bildwerk.
„Schieß doch, Ely! Wenn du noch länger wartest, ist der Kerl weg."
„Er ist weg, Norman."
Als ein zerfaserter Blitz ganz in der Nähe in einen Baum einschlug, sahen sie die gegenüberliegenden Häuser in aller Deutlichkeit. Olsen war tot. Der Schamane war nirgends mehr zu sehen.
Die beiden waren fest entschlossen, sich nicht von der Angst der anderen anstecken zu lassen. Mehrere Reiter galoppierten an ihnen vorüber. Das Blitzen wurde stärker. Wie Schlangen überzogen die Blitze das nächtliche Firmament. Die Luft war staubtrocken. Der Regen würde später kommen.
Ely repetierte seine Winchester. Als er aufblickte, sah er den Schamanen genau auf sich zustelzen. „Norman! Vorsicht!"
Ely schoß und repetierte. Er war nicht sicher, ob er den Unheimlichen getroffen hatte. Jetzt feuerte Norman ebenfalls. Das rote Mündungsfeuer zerriß die Dunkelheit. Eine Kugel
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