1056 - Die steinerne Charta
aber er schwieg sich darüber aus. Er hatte bisher niemand von der BASIS für die eigentliche Zeremonie eingeladen.
Der Boden unter Javiers Füßen war hart, trotzdem dämpfte er das Geräusch ihrer Schritte. Auch die Arbeit der Domwarte verlief völlig lautlos.
In dieser Stille wirkte das Knarren und Quietschen eines hölzernen Gefährts beinahe wie eine Serie von Explosionen.
Johudka hatte sich seitlich zwischen die Bänke zurückgezogen. Als Javier sich umdrehte, sah er eine Art Rollstuhl, in dem ein offenbar weibliches Geschöpf saß. Die Fremde war aus einem der zahlreichen Seitenräume hereingeglitten. Sie war groß und von dunklem Pelz bedeckt. Ihr Gesicht war ein helles Dreieck mit einem großen Auge darin und einer Art Mund, der von zapfenförmigen Verzahnungen verschlossen wurde und ziemlich bedrohlich aussah. Rötliches, langes Haar wuchs zwischen dem Kopfpelz der Unbekannten und reichte ihr bis zur Körpermitte. Hinter ihr tauchte nun ein männlicher Artgenosse auf, ein fast zweieinhalb Meter großer Hüne, dessen Muskelpakete den sie umschließenden Pelz scheinbar zu sprengen drohten. Er schob sich an dem Rollstuhl vorbei und trat den Männern von der BASIS entgegen.
In der Regel hütete sich Waylon Javier vor voreiligen Beurteilungen, wenn es um Stimmungen von Extraterrestriern ging, aber in diesem Fall dachte er spontan: Bei allen Planeten - ist dieser Bursche schlecht gelaunt!
„Ich gehöre zu den Domwarten", sagte der Riese mit einer angenehm klingenden Stimme. „Meine Heimatwelt ist der Planet Croul. Ich bin ein Zarke, mein Name ist Skenzran."
Er sprudelte das hervor, als müßte er diese Informationen so schnell wie möglich loswerden. Während die anderen Domwarte die Menschen bisher freundlich, zumindest aber gleichgültig behandelt hatten, zeigte Skenzran deutliche Ablehnung.
Skenzran deutete auf den Rollstuhl.
„Das ist meine Tochter", verkündete er. „Ein Mädchen, das an der Tyrillischen Lähmung leidet."
Javier wagte nicht danach zu fragen, warum die Angehörige eines Volkes, das zweifellos hochtechnifizierte Raumfahrt betrieb, in einem derart primitiven Gefährt sitzen mußte.
Offenbar hatte er so gebannt auf den Rollstuhl gestarrt, daß Skenzrans Tochter dies begriff.
„Mein Vater hat ihn gebaut", sagte sie mit wohlklingender Stimme. „Er ist ständig dabei, ihn zu verbessern, obwohl ich glaube, daß ich in absehbarer Zeit ganz darauf verzichten kann."
„Ja, ja", sagte Javier verlegen.
Es war schwer, die Schönheitsvorstellungen Außerirdischer nachzuvollziehen, aber die Kranke war zweifellos eine Schönheit unter ihresgleichen. Und sie war - im Gegensatz zu ihrem düster wirkenden Vater - außerordentlich liebenswürdig.
„Dich kenne ich", sagte Skenzran in diesem Augenblick zu Perry Rhodan. „Du bist der neue Ritter der Tiefe."
„Das ist richtig", bestätigte Rhodan. „Dieser Mann hier ist Roi Danton, mein Sohn. Der andere ist der Kommandant unseres Raumschiffs und nennt sich Waylon Javier."
Das Interesse, mit dem Skenzran Javier flüchtig musterte, schien sich zu verstärken, als sein Blick kurz auf den strahlenden Händen des Terraners haften blieb. Der Domwart stellte jedoch keine Fragen.
„Ich bin für eure Betreuung zuständig", erklärte der Zarke. „Das heißt, daß ich euch in das Gewölbe unter dem Dom begleiten werde."
„Du kennst dich dort unten aus?" erkundigte sich Rhodan.
„Ich war noch niemals dort", lautete die überraschende Antwort.
„Aber das ist doch absurd!" ereiferte sich Rhodan. „Wir brauchen einen erfahrenen Führer. Ich möchte mit einem der Zeremonienmeister darüber sprechen, damit man uns einen anderen Begleiter zuteilt."
Skenzran brummte unwillig."
„Das wäre mir nur recht", erklärte er. „Ich bin nämlich nicht erpicht darauf, mit euch nach unten zu gehen. Allerdings sind die Zeremonienmeister niemals umzustimmen. Radaut hat mich euch zugeteilt - daran wird sich nichts ändern."
„Dann können wir ebenso gut allein gehen", warf Roi Danton ein.
„Ich bitte euch, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind", sagte das Mädchen mit der Tyrillischen Lähmung in diesem Augenblick. „Es wurde mir gestattet, meinen Vater und euch in das Gewölbe zu begleiten. Für mich hängt sehr viel davon ab. Wenn ihr meinen Vater als Führer ablehnt, kann ich das Gewölbe nicht besuchen."
Javier schaute sie an. Er war erschüttert. Wenn er jemals in seinem Leben eine flehentlich vorgetragene Bitte gehört hatte, dann
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