1056 - Die steinerne Charta
Roi den Dom verlassen hatten. Vermutlich warteten sie in der Space-Jet auf ihn.
Die sechzehn Zeremonienmeister verharrten nach wie vor an ihren Plätzen, als seien die Feierlichkeiten für sie noch nicht abgeschlossen.
„Ich glaube", sagte Rhodan, „daß ich nun Khrat verlassen kann."
„Jederzeit", bestätigte Radaut. „Bevor du aufbrichst, wollen wir dich jedoch von einem uralten Brauch unterrichten. Jeder, der ein vollwertiges Mitglied im Wächterorden geworden ist, hat einen erfüllbaren Wunsch frei."
Rhodan mußte lächeln.
„Das hört sich fast an wie ein Märchen!"
„Einen erfüllbaren Wunsch!" ermahnte ihn Radaut. „Vergiß das nicht!"
Rhodans Gedanken schweiften ab.
„Was hat Jen Salik sich gewünscht?"
„Die relative Unsterblichkeit", versetzte Radaut. „Einen Zellaktivator. Es wurde dafür gesorgt, daß er ihn erhielt, wenn auch auf ziemlich unorthodoxe Art und Weise."
„Ja", bestätigte Rhodan trocken. „Das kann man wohl sagen. Ich habe mich immer gefragt, wie Salik in den Besitz des Aktivators gekommen ist. Ich vermute, zu diesem Zweck mußte auch die Zeit manipuliert werden."
Radaut sagte kritisch: „Über erfüllte Wünsche sollte man nicht rätseln."
Ein Geräusch am Eingang des Domes ließ sie ihr Gespräch unterbrechen. Rhodan sah, daß sein Sohn und der BASIS-Kommandant zurückkehrten. Die beiden Männer machten einen aufgeregten Eindruck. Irgend etwas mußte geschehen sein.
Die Raumfahrer stiegen auf die Empore.
„Wir hatten Funkkontakt zur BASIS", verkündete Roi erregt. „Es hat sich etwas Erstaunliches ereignet."
„Ich höre", sagte Rhodan.
„Demeter ist erwacht!" brach es aus Roi hervor. „Sie ist endlich erwacht. Wenn die Zeitvergleiche kein Trugschluß sind, muß es auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten passiert sein - als die Schwingungen der stählernen Domhülle am stärksten waren."
„Gut", nickte Rhodan. „Du solltest glücklich darüber sein."
„Aber es gibt keine Erklärung dafür!" rief Waylon Javier. „Auch Demeter selbst weiß nichts über die Gründe."
„Vielleicht ist die Erklärung ganz einfach", meinte Rhodan. „Demeter ist sehr alt. Könnte man sich nicht vorstellen, daß sie zu jenen gehört, die die Stimme des Domes schon einmal gehört haben? War der Grund für ihr Drängen zum Aufbruch mit der BASIS vielleicht nur der Wunsch, die Schwingungen einmal aus unmittelbarer Nähe zu erfahren?"
Danton verzog das Gesicht.
„Das ist mir zu mystisch", meinte er.
„Es liegt in der menschlichen Natur, alles erklären zu wollen." Rhodan legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. „Irgendwann werden wir bestimmt mehr über die Zusammenhänge erfahren. Inzwischen solltest du dich freuen, daß du wieder mit deiner Gefährtin Zusammensein kannst."
„Begleitest du uns nun zur BASIS?" erkundigte sich der Mann mit den Kirlian-Händen.
„Das wird nicht nötig sein", antwortete Rhodan. „Ich beabsichtige, von hier aus per distanzlosem Schritt nach Terra zu gehen. Ihr beide kennt die neue Aufgabe der BASIS."
Roi protestierte: „Aber das Auge funktioniert nur in Stützpunkten und Raumschiffen der Kosmischen Hanse!"
„Es wird nun auch hier im Dom funktionieren", behauptete Rhodan.
„Der Wunsch", erinnerte Radaut. „Vergiß nicht den Wunsch."
Javier und Danton wechselten einen Blick.
„Was meint er damit?" fragte Roi irritiert.
„Jeder Ritter der Tiefe kann einen erfüllbaren Wunsch äußern", erklärte Rhodan amüsiert.
„Du solltest ihn beim Wort nehmen!" Roi schaute seinen Vater nachdenklich an. „Ich könnte mir denken, daß nun eine gute Gelegenheit gekommen ist, ein paar brennende Fragen beantworten zu lassen - nach dem Schicksal Atlans beispielsweise. Auch die Kosmokraten und die Porleyter sind wichtig. Du solltest dir wünschen, Antworten auf diese Fragen zu erhalten."
„Ich gestehe, daß ich auch schon daran gedacht habe, andererseits ..."
„Andererseits - was?"
Rhodan winkte ab.
„Es hat sich schon erledigt. Vielleicht kann ich mit einem solchen Wunsch wirklich ein Wunder herbeiführen."
Roi und der BASIS-Kommandant waren verwirrt. Rhodan öffnete das Futteral an seinem Gürtel und zog Laires Auge heraus. Er umarmte seinen Sohn und schüttelte Waylon Javier die Hand.
„Du hast es wirklich eilig, nach Terra zu gelangen", sagte Roi bedauernd. „Aber du hast natürlich gute Gründe."
Rhodan nickte, setzte das Auge an die Stirn und war gleich darauf verschwunden.
Roi schaute den Mann mit den Kirlian-Händen
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