1059 - Der Scharfrichter
erreichten auch die Stirn. Sie hielt die Augen offen und sah das Dunkel vor sich, das sich auch nicht erhellen würde, denn sie lag mit dem Bauch auf dem Boden.
Auf kalter Erde. Graberde?
Der Gedanke kam ihr urplötzlich. Sie stemmte sich dagegen an und wollte ihn nicht weiterverfolgen, weil er ihr einfach zu schrecklich und makaber vorkam.
Aus ihrem Mund drang ein leises Stöhnen. So leise, daß nur sie es hören konnte. Sie hatte dabei den Mund leicht geöffnet und spürte jetzt auf ihren Lippen die feuchten Krumen, die sie auch mit der Zungenspitze berührte. Sie spie das Zeug aus. Es war nasse Erde gewesen, die sich gegen ihre Lippen gepreßt hatte.
Noch immer lag sie auf dem Bauch. Sie konnte ihre Umgebung nicht sehen, aber sie wußte, daß sie nicht mehr in der Nähe ihres Hauses lag. Mary erinnerte sich daran, daß sie zwischendurch einmal aufgewacht war. Da war es ihr so vorgekommen, als wäre sie getragen worden. Sie war allerdings schnell wieder weg gewesen.
Auch jetzt hatte sie Mühe, wieder den Punkt der Normalität zu erreichen.
Mary Pinter fühlte sich noch nicht in der Lage, aufzustehen. Sie mußte liegenbleiben und abwarten. Erst wenn sie eine gewissen Punkt erreicht hatte, würde sie versuchen, sich in die Höhe zu drücken. Dazu brauchte sie Kraft.
Zunächst hob sie den Kopf etwas an. Ihr Kinn streifte dabei über den feuchten Boden hinweg wie über eine Schleimspur. Sie hob den Blick an.
Nichts. Es war dunkel. So dunkelgrau. Aber sie war nicht allein.
Die Geräusche waren geblieben. Sie wußte jetzt auch, daß sie über ihr aufklangen, also lag sie tiefer.
Die Schmerzen ließen nicht nach, doch darum kümmerte sich Mary Pinter nicht. Und auch nicht um die schreckliche Gestalt, die sie im eigenen Haus überfallen hatte. Andere Dinge waren wichtiger. Sie wollte nicht am Boden liegen und wie ein Stück Vieh behandelt werden. Sie mußte sich aufraffen und verschwinden so lange es noch möglich war.
Es fiel ihr schwer. Sie unternahm den ersten Versuch und rollte sich zur rechten Seite hin.
Widerstand!
Mit der Schulter war sie gegen etwas gestoßen. Nicht hart wie Stein, aber trotzdem hart genug.
Der nächste Versuch. Diesmal war sie gegen etwas gestoßen.
Nicht hart wie Stein, aber trotzdem hart genug.
Der nächste Versuch. Diesmal streckte sie die Beine aus, die sie bisher unfreiwillig angewinkelt gehabt hatte. Es blieb bei diesem Versuch, denn sie bekam sie nicht gerade. Schon bald stieß sie mit den Füßen an einen Widerstand.
Auch links war kaum Platz, wie Mary noch im Liegen sah. Dieser Zustand mußte sich ändern, auch wenn sie noch so schwach war.
Mary Pinter nahm alle Kraft zusammen. Sie dachte auch nicht mehr über sich selbst oder ihr Schicksal nach. Sie wollte endlich wissen, was man mit ihr gemacht hatte.
Dieser Vorsatz half ihr dabei, auf die Knie zu kommen, und in dieser Haltung blieb sie auch.
Es war um sie herum heller geworden, aber trotzdem noch dunkel. Wenn überhaupt so etwas wie Licht nach unten sickerte, dann kam es von oben, und so hob sie den Kopf an, um in die Höhe schauen zu können.
Mary war noch zu benommen, um zu begreifen, wo sie sich befand. Sie hockte in einer Grube, das stand fest. Der Boden war feucht und auch lehmig. Die Innenwände der Grube waren nicht zu hoch. So konnte sie darüber hinwegschauen und auch, wenn sie den Kopf weit zurücklegte, bis auf den düsteren Himmel.
Das alles registrierte Mary Pinter wie nebenbei. Etwas anderes war viel prägnanter und auch wichtiger. Und das hing mit dem Geruch zusammen, der in ihre Nase drang.
Zunächst einmal roch es feucht, aber Mary war sehr schnell in der Lage, Unterschiede auszumachen. Es roch auch nach Laub, Blättern, Erde, Tannen und Buchsbaumzweigen. Da hinein mischte sich der Duft verblühter Blumen, und all dies zusammen ließ nur ein Ergebnis für Mary zu.
Sie war auf einem Friedhof!
Die Frau hockte unbeweglich. Ja, ein Friedhof. Aber nicht nur das. Sie befand sich an einer bestimmten Stelle auf einem Friedhof, und zwar da, wo er am schlimmsten war.
In einem Grab!
***
Mary Pinter hatte eigentlich damit gerechnet, verrückt zu werden.
Nach einer derartigen Feststellung mußte man einfach durchdrehen. Da hatte sie jemand zu einem offenen Grab geschafft und sie hineingeworfen. Sie war in diesem Grab erwacht, und ihr fiel alles wieder ein, daß ihr Mann von kleinen, frischen Gräbern auf einem Friedhof gesprochen hatte.
Mary Pinter schrie nicht einmal. Der Schock war einfach zu
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