1059 - Der Scharfrichter
blieb er stehen. Es stand halb offen, als hätte der letzte Besucher vergessen, es zu schließen. Aber wer war dieser Besucher gewesen?
Die Erscheinung? Der Scharfrichter, der sich für einen Moment in der Kirche gezeigt hatte? Wenn ja, konnte er es sich trotzdem nicht erklären, denn er war ein Geist, und ein Geist hinterläßt keine Lehmspuren, wenn er irgendwo eindringt.
Oder war er kein Geist?
Doug Pinter fand keine Erklärung. Ob Geist oder nicht, er mußte versuchen, eine Spur von seiner Frau zu finden. Nur das zählte und nichts anderes.
Er betrat den Friedhof. Sein Ziel war klar. Er beschäftigte sich mit einem bestimmten Verdacht, und er wollte ihn bestätigt sehen. Alle im Ort wußten Bescheid, aber sie sprachen nicht darüber. Sie nahmen es einfach hin.
Sie waren feige, und genau das hatte Doug Pinter nicht sein wollen.
Und so schritt er über den Totenacker. Er ging direkt auf das Ziel zu, mit weichen Knien und den Blick zu Boden gerichtet. Er nahm den typischen Geruch des Friedhofs auf. Hier roch es immer nach Tränen und Trauer.
Drei nicht zu übersehende Stellen verteilen sich auf dem Gelände. Sie lagen trotzdem dicht beisammen und praktisch im Schatten der grauen Mauer. Es war ein Platz, der bewußt freigehalten wurde, um dort normal die Toten zu bestatten.
Je mehr sich Doug Pinter diesem Ziel näherte, um so schlechter ging es ihm. Er sah alles nur verschwommen, weil ihm Tränen aus den Augen rannen. Noch stellte er sich dieses Schreckliche nur vor und betete, daß sein Verdacht nicht zur Wahrheit wurde.
Endlich war er da!
Er sah die Gräber.
Eins, zwei, drei…
Pinter riß den Mund auf. Dabei bewegte er sich zuckend. Wie jemand, der weglaufen wollte.
Doch er blieb stehen.
Obwohl es ihm schwerfiel, zählte er noch einmal nach.
Nein, es waren keine drei Gräber mehr. Sondern vier. Eins war hinzugekommen. Es sah auch noch frischer aus. Er wußte Bescheid, und all seine Angst, seine Wut und auch seine Trauer entluden sich in einem fruchtbaren Schrei…
***
Wie sagte man so schön? Der Alltag hatte mich wieder. Und der sah für mich so aus, daß ich meinem Chef, Sir James Powell gegenübersaß. Allein, denn Suko war unterwegs. Die Vernichtung der Vampire würde uns auch noch länger beschäftigen, schließlich waren wir wichtige Zeugen und auch für die »normalen« Kollegen interessant.
Ich hätte ebenfalls mit Suko unterwegs sein müssen, aber Sir James sah das anders.
»Es gibt da ein kleines Problem, John, und ich möchte, daß Sie sich darum kümmern.«
»Hängt es mit Costello oder Mallmann zusammen?«
Der Superintendent schüttelte den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht. Es geht um etwas anderes. Sagt ihnen der Name Cryton etwas?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Er ist ein Bischof.«
»Oh!«
»Und er hat mich heute morgen angerufen. Sie waren gerade auf dem Weg zum Flughafen. Der Bischof war ziemlich ratlos und wußte nicht mehr weiter. Aber er hatte seinem Besucher, einem gewissen Doug Pinter, ein Versprechen gegeben, das er einlösen wollte. Wie ich es sehe, könnte es ein Fall für uns werden.«
»Worum geht es, Sir?«
»Um drei verschwundene Personen, einschließlich des Pfarres des kleinen Ortes namens Mayne.« In den folgenden Minuten erfuhr ich mehr und hörte auch etwas von einem Scharfrichter, der längst gestorben war, aber als Erscheinung angeblich wieder auftrat. Jedenfalls war er in der Kirche auf einem bestimmten Platz gesehen worden. »Pinter geht also davon aus, daß der Scharfrichter am Verschwinden der drei Menschen die Schuld trägt«, sagte Sir James zum Schluß. »Ob etwas daran ist, das sollten Sie schon herausfinden, John. Deshalb möchte ich Sie bitten, nach Mayne zu fahren. Es ist ja nicht weit. Sie können sogar am Abend wieder hier in London sein, sollte sich alles als Finte herausstellen.«
»Dieser Pinter ist für mich der Ansprechpartner.«
»Ja. Besuchen Sie ihn. Reden Sie mit ihm. Ich würde mir Vorwürfe machen, wenn wir nichts unternehmen. Zudem wäre auch der Bischof düpiert.« Er zuckte die Achseln, »Glücklich bin ich dabei auch nicht, aber ich habe dem Bischof mein Wort gegeben.«
»Gut, ich werde fahren.«
»Danke.« Er räusperte sich. »Was es hier noch zu erledigen gibt, übernehmen andere. Ich versuche zudem, Suko und Sie möglichst aus den Nachforschungen herauszuhalten. Um die Mafiosi und deren neue Strukturen sollen sich andere kümmern. Außerdem müssen noch einige Gräber für die erlösten Vampire gegraben werden.
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