1063 - Die Nacht vor Walpurgis
von der Existenz des Hexenherzens erfahren würden. Wie genau, darüber hatte sich Kevin White ausgeschwiegen. Er war allerdings davon überzeugt, daß uns der Beweis gelingen würde, und ich hatte ihn auch nicht mit weiteren Fragen gequält.
Diesmal blieben wir zusammen. Wir gingen auch nicht mehr so schnell. Ich beobachtete meinen Begleiter von der Seite her. White hatte sich wieder erholt. Er sah nicht mehr so schlimm aus. Zwar zeichnete die Anstrengung sein Gesicht, aber der Schweiß war getrocknet, und er atmete auch nicht mehr so schwer. Seine Lederjacke stand offen. Die Hände hatte er in die Taschen geschoben. Während er ging, sprach er mit sich selbst. Worte verstand ich nicht, aber Kevin White wirkte sehr konzentriert.
Mir fielen einige Vögel mit dunklem Gefieder auf, die hoch über unseren Köpfen kreisten. Sie wirkten auf mich als suchten sie einen günstigen Landeplatz.
Ich dachte daran, daß zu den Hexen immer diese dunklen Vögel gehörten. Man hatte die Hexen mit Krähen und Raben zusammen gezeichnet – und natürlich mit den Besen, auf denen sie in der Walpurgisnacht durch die Luft ritten, um es später mit dem Teufel zu treiben.
Von derartigen Vorgängen hatte Kevin White nicht gesprochen.
Auf meine Fragen hin hatte er sie auch nicht ausschließen wollen und immer nur mit den Schultern gezuckt.
Steiler wurde der Weg nicht. Nur der Bewuchs zeigte sich karger.
Manchmal sah das Gras aus wie ein dünner Teppich, auf dem noch helle Regentropfen hingen.
Meine Kondition war besser als die meines Begleiters, der wieder ins Schwitzen geraten war. Kurzatmig bewegte er sich mit kleinen Schritten voran, schüttelte öfter den Kopf, wandte sich allerdings mit seinen Problemen nicht an mich.
Wenn er reden wollte, war das seine Sache. Ebensogut wie das Schweigen, und auch ich hielt den Mund. Außerdem waren es nur wenige Schritte bis zur Hügelkuppe. Schon jetzt war das Gelände flacher geworden und lief schließlich eben aus.
Ich blieb stehen. Drehte mich, um den Rundblick von hier oben zu genießen.
Er war schon gut. Weit ins Land hinein konnten wir schauen. Für Landschafts-Fans war dies ein idealer Ausgangspunkt. Ebenso für Maler, die einfach herrliche Motive fanden.
»Ja, John«, sagte Kevin White, stemmte die Hände in die Hüften und schaute sich dabei um. »Jetzt sind wir da.«
»Sie kennen diesen Ort ja.«
»Und ob. Ich bin nicht zum erstenmal hier. Wir können nur hoffen, daß wir Glück haben.«
»Womit?«
Er lachte leise. »Wollen Sie damit andeuten, daß Sie vergessen haben, was ich Ihnen gesagt habe?«
»Nein, keineswegs. Ich möchte gern einen Beweis erhalten.«
Er wies mit dem rechten Zeigefinger nach unten. »Da«, sagte er, »da unter unseren Füßen befindet sich der Beweis. Sogar der schlagende Beweis, wenn man es genau nimmt.«
»Den wir hören müßten.«
»Das hoffe ich. Wenn nicht, seien Sie bitte nicht enttäuscht. Dann möchte ich, daß Sie trotzdem noch bleiben, John. Ist das in Ihrem Sinne? Oder würden Sie sich weigern?«
»Nein, auf keinen Fall. Ich bin ja nicht grundlos mit Ihnen gekommen. Wie lange müssen wir warten, bis sich etwas tut? Oder können wir die Dinge beschleunigen?«
»Nein, leider nicht.« Seine Stimme hatte einen etwas traurigen Klang bekommen. »Dazu sind wir zu schwach. Wir müssen uns darauf verlassen, daß sich die andere Seite meldet.«
»Zora, die Hexe.«
»Nein, John.« Er deutete wieder zu Boden, und diesmal zuckte sein Finger auf und nieder. »Nur das, was man von ihr zurückgelassen hat oder was von ihr übriggeblieben ist.«
Ich war einverstanden. Im Prinzip gehöre ich zu den bequemen Menschen. Wenn eben möglich, versuche ich immer, das Beste aus einer Situation zu machen, und das war auch hier der Fall. Ich hatte einen Stein entdeckt, der hoch genug aus dem Erdboden hervorragte, um als Sitzplatz zu dienen. Kevin White schaute mir zu, als ich mich setzte.
»Fehlt nur noch der Picknickkorb«, sagte er.
»Richtig.«
»Ich bezweifle, daß es so gemütlich werden wird, John. Aber ich bin froh, daß Sie gute Nerven haben. Das allerdings hat mir schon Ihre Freundin Jane Collins erzählt, und die muß es ja wissen. Außerdem möchte ich Ihren Job auch nicht haben.«
»Man gewöhnt sich an vieles, Kevin.«
Während ich meinen Platz beibehielt, fand Kevin White keine Ruhe. Er schritt auf der Hügelkuppe hin und her. Er war nervös. Er bewegte seinen Kopf, schaute zumeist vor seine Füße und setzte auch einige Male seine Schuhe
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