1066 - Avalons Riesen
werden Kräfte freigesetzt, die unwahrscheinlich sind.« Er hob die Schultern. »Was soll’s? Auch wenn es mir hier besser gefällt, wir sollten uns trotzdem wieder auf den Rückweg machen. Vielleicht haben wir ja Glück und erleben sie noch dort, wo…«
»Hör auf!« mischte ich mich ein. »Ich möchte sie nicht sehen. Der eine hat mir schon gereicht. Wenn drei von der Sorte erscheinen, will ich nicht in der Haut der Bewohner stecken. Ich kann mir vorstellen, daß die Unholde alles zerstören.«
»Und sie haben Hunger!« flüsterte Bill.
Mit diesen nicht eben optimistischen Vorstellungen machten wir uns wieder auf den Rückweg. Das Tor öffnete sich uns, und Bill warf noch einmal einen Blick zurück in die Welt, zu der jetzt Nadine Berger gehörte. Danach schaute er sie an. Schon etwas zweifelnd, als wollte er fragen, ob sie nicht doch wieder zurück in die normale Welt kommen wollte, wie es früher mal der Fall gewesen war.
Er verkniff sich die Worte. Nach wenigen Schritten war der Zauber auch vorbei. Da traten wir hinein in die Grenze zwischen den Welten, die für das normale Auge nicht zu sehen war.
Auch wir spürten sie nur. Dieses kribbelige Gefühl, das sanfte Berühren – vorbei.
Avalon blieb zurück, auch als ich den Kopf drehte. Keine Helligkeit mehr. Die normale Dunkelheit lag hinter und auch vor uns.
Eben eine völlig normale Nacht.
Auch hier auf dem Hügel gab es keine Veränderung. Dennoch traten wir vorsichtig aus dem Bereich des Steintores hervor. Waren gespannt, schauten uns um. Bill hatte seine rechte Hand auf die klobige Goldene Pistole gelegt. Er ließ sie allerdings stecken, denn von irgendwelchen Riesen war nichts zu sehen.
Vor uns lag das Gelände in der Dunkelheit. In Avalon war es Tag gewesen. Wie auf der Südseite der Welt. Aber damit konnte die Nebelinsel nicht verglichen werden. Dort liefen die Uhren sowieso anders. Jedenfalls war das Tor ein Weg in dieses Reich, ebenso wie der Knochensessel, der bei den Templern in Südfrankreich stand.
Nadine war natürlich mit uns gekommen. Sie bewegte sich wie eine Fremde. Es war auch möglich, daß sie in ihrem recht dünnen Kleid fror, und ich wollte meine Jacke ebenso ausziehen wie Bill, damit Nadine sich wärmen konnte.
»Nein, nein, das ist nicht nötig. Danke, ich bin schon okay. Es ist alles in Ordnung. Ich werde mich daran gewöhnen. Ich muß mich nur umstellen.« Sie lachte leise. »Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, immer auf der Insel zu bleiben. Sie ist eine wunderbare zweite Heimat für mich geworden. Wenn ich daran denke, was mir die normale Welt für ein Schicksal beschert hat, dann kann ich nur über Avalon froh sein.«
»Denkst du jetzt nicht anders?« fragte Bill. »Nachdem du erlebt hast, daß auch auf der Nebelinsel nicht alles Gold ist, was glänzt?«
»Es war eine Ausnahme.«
»Hoffentlich.«
Wir waren während des Gesprächs weitergegangen und schritten bereits über die Steinplatten hinweg nach unten. Der Ausblick war trotz der Dunkelheit irgendwie imponierend.
Um uns herum breitete sich die Leere des Hügels aus. Er senkte sich wie ein Terrasse. Die Stufen hörten auf, denn sie mündeten in einen Weg, der ebenfalls angelegt war wie Stufen, aber später nicht mehr mit Steinplatten, sondern mit Schotter belegt war.
Die Luft war kühl. Stille umgab uns. Wir hörten die Echos unserer Schritte, und über den dunklen Himmel segelten die Wolken wie lange Schleier hinweg.
Glastonbury lag in tiefer Ruhe. Die Häuser und deren Dächer verschmolzen mit der Dunkelheit. Hier und da schimmerten Lichter, die mich an blinkende Laternen erinnerten, deren Helligkeit irgendwie störend wirkte und deshalb vom Dunkel der Nacht so schnell wie möglich verschluckt wurde.
Die Ruhe konnte uns nicht gefallen. Jeder von uns war mißtrauisch und gespannt. Wir rechneten damit, die Riesen jeden Augenblick zu sehen, wie sie als lebende Monstren aus der Dunkelheit hervorstachen und zuschlugen.
Das passierte nicht. Wir gingen weiter. Wir erreichten schon bald die Ebene. Ich blieb stehen, schnippte mit den Fingern und drehte mich um.
Hinter mir hatten Nadine und Bill auch angehalten. Sie sahen meinen gespannten Blick und nahmen auch die Armbewegung wahr, mit der ich nach rechts deutete.
»Was hast du?«
»Nicht viel, Bill. Nur wenn mich nicht alles täuscht, höre ich das Plätschern.«
»Denkst du an die Quellen?«
»Ja.«
Der Reporter runzelte die Stirn. Er lauschte. Bevor er einen Kommentar abgeben konnte, meldete sich
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