1067 - Er killt für den Satan
einen Engel, wie ihn sich naive Maler vorstellten. Ich schaute auf die lockigen Haare, die natürlich blond waren, ich sah dieses perfekte Gesicht, ohne Pausbacken, dafür fein geschnitten und schon von dieser Schönheit. Der Mund war weich geformt und er hätte ebensogut auch einer weiblichen Person gehören können.
Es stellte sich die Frage, ob diese Gestalt tatsächlich männlich war.
Allerdings auch nicht weiblich. Das Aussehen lag mehr zwischen den beiden.
Androgyn!
Genau das war es. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Zwittrig. In gewissen Kreisen gehörte es heute leider zum guten Ton, androgyn zu sein, was ich nicht nachvollziehen konnte. Hier allerdings war es der Fall, ein androgyner Typ, glatt, ohne Ecken und Kanten.
Normalerweise hätte ich das Bild lächelnd zur Seite legen können, aber bei mir war eigentlich nur wenig normal. Vielleicht ich selbst, aber nicht der Job. Ohne Grund schickte mir niemand ein derartiges Foto. Da steckte schon mehr dahinter. Ich blieb vor dem Schreibtisch sitzen und schaute nachdenklich in das Gesicht, weil ich auch dabei war, eine Botschaft darin zu suchen.
Es gab keine. Das glatte Gesicht schaute ich aus hellen, klaren Augen an. Erst beim zweiten Hinsehen fiel mir auf, wie wichtig sie waren. Darin lag ein bestimmter Blick. Er war nicht starr, sondern glatt und auch irgendwie anders. So zwingend, als wollte dieser Jüngling durch sein Augenpaar Gewalt oder Macht über einen anderen Menschen bekommen.
Plötzlich passierte etwas Seltsames, das ich mir zunächst nicht erklären konnte. Ich spürte die leichte Wärme meines Kreuzes. Sie floß über meine Brust hinweg, sie breitete sich aus, und sie war zugleich die Warnung vor etwas Bestimmtem.
Vor dem Bild?
Ich hatte für kurze Zeit meinen Blick abgewendet, schaute nun wieder hin und sah die Veränderung in den Augen.
Sie hatten ihre ursprüngliche helle und klare Farbe verloren. Der Ausdruck war dabei, sich zu verändern, denn nun begann die Dunkelheit, die Augen zu übernehmen.
Aus dem Innern und bisher tief in den Schächten verborgen gewesen, stieg etwas hervor. Eine unheimliche Schwärze, die so gar nicht zu dem Gesicht passen wollte.
Da wurde »schwarzes Öl« in die Höhe gepumpt und blieb als Tropfen in den Augen kleben.
Augenblicklich war das Gesicht häßlich geworden. Die Augen paßten nicht mehr zu dem übrigen Erscheinungsbild, und die Wärme meines Kreuzes vor der Brust ließ nicht nach.
Man hatte keinen normalen Anschlag auf mich verübt, sondern einen dämonischen. Etwas spielte sich in einem Hintergrund ab, in den ich leider nicht hineinschauen konnte. Dieses Foto stand unter magischer Kontrolle. Wer allerdings diese Kontrolle ausübte, war mir nicht bekannt.
Bisher hatte er es nur geschafft, die Augen zu verändern, doch dabei blieb es nicht.
Die Veränderungen zum Negativen hin setzten sich fort, denn nun wurde auch der Mund in Mitleidenschaft gezogen. Seine Weichheit verschwand. Die Lippen zuckten. Sie zogen sich in die Breite, aber der Mund zeigte kein Lächeln, er sah mehr aus, als sollte er zerrissen werden. In der Tat entstand ein Maul, weil sich die Lippen öffneten. Ich hatte den Eindruck, einen zischenden Atem zu hören und rutschte mit dem Stuhl ein wenig zurück.
Ich wollte schon das Kreuz ins Freie ziehen, als mich die Stimme regelrecht erwischte.
»Nein, laß es stecken!«
Ein rauhes, ein unheimlich klingendes Organ, aber auch ein mir bekanntes. Geschockt im eigentlichen Sinne war ich nicht, auch wenn ich nicht mit dieser Stimme gerechnet hatte.
Ich kannte sie, denn sie gehörte einem Urfeind von mir. Gesprochen hatte kein geringerer als der Teufel…
***
Er also! Asmodis. Der Verführer, der Satan, der Widerling, der Täuscher und Blender, wie immer man ihn auch bezeichnete. Der Herrscher über die Hölle. Einer, der es schaffte, die Menschen zu manipulieren und sie an den Rand des Wahnsinns zu bringen. Einer, der in zahlreichen Verkleidungen erschien, sich verstecken konnte und es immer wieder schaffte, sich auf unterschiedliche Art und Weise bei den Menschen einzuschleimen, um sie dann, wenn sie sich nicht so verhielten, wie er es wollte, fallen zu lassen.
»Hast du mich gehört, Sinclair?«
»Ja, habe ich.«
Asmodis lachte und sprach zugleich. »Dann ist es ja gut…«
Ich wußte nicht genau, woher die Stimme kam. Eigentlich hätte sie mir aus dem Maul entgegenwehen müssen, doch das war nicht der Fall. Ich hörte sie von überallher, aus allen Richtungen wehte sie mir
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