107 - Tanz der Furie
Der Friedhof war abgelegen. Hier waren Leute unbekannter Herkunft bestattet, zweifelhafte Subjekte, die irgendwo in der Umgebung gestorben waren, Verbrecher und üble Existenzen, die nicht auf einem anständigen Friedhof liegen sollten. Es war ein Friedhof der Ausgestoßenen, seit Jahrhunderten schon.
Seit einiger Zeit herrschte hier ein seltsames Treiben. Eine Teufelssekte hatte sich auf dem Friedhof eingenistet, die Sekte des Schwarzen Yezdigerd. In dieser Nacht flackerten Feuer zwischen den Gräbern. Flöten, Pfeifen und Trommeln erzeugten schrille, disharmonische Musik. Dunkle Gestalten tanzten und sangen ekstatisch Hymnen. An einem Grabstein mit verschnörkelten Reliefs war der schwarze Opferbock angebunden. Eine Binde bedeckte seine Augen.
Judith wanderte von Südwesten heran. Ihr Herz klopfte schneller, wie immer wenn sie zu einer der Ritualfeiern der Teufelssekte eilte.
Sie erinnerte sich daran, wie es begonnen hatte. Sechs Monate war es nun her. Judith hatte in einem kleinen Kreis von Prominenten und Gelehrten ihre Fähigkeiten demonstriert. Sie trat selten irgendwo auf, denn sie hatte eine Scheu vor der Öffentlichkeit und hätte ihre Talente lieber verborgen. Nach dieser Vorführung in kleinem Kreis war ein Mann an sie herangetreten. Ein Gesicht wie seines hatte sie noch nie gesehen, es drückte eine unbeschreibliche Verachtung für alles und jeden aus. Er hatte ein paar Worte mit ihr gesprochen und ihr in die Augen gesehen. Von diesem Zeitpunkt an war Judith dem schwarzhaarigen Mann mit den asketischen, scharfgeschnittenen Gesichtszügen verfallen gewesen. Sie traf sich mit ihm. Er führte sie in die Teufelssekte ein, deren Begründer und Oberhaupt er war. Sein Name war Uri Sha'ani. Als Sektenoberhaupt nannte er sich der Schwarze Yezdigerd nach einem Baalpriester, der im alten Babylon mit den Mächten der Finsternis paktiert haben sollte.
Judith erreichte den Friedhof mit den verwahrlosten Gräbern. Einige Grabsteine waren umgefallen, die meisten anderen standen schief. Uri Sha'ani, der Schwarze Yezdigerd, hockte am Feuer, in eine schwarze Kutte mit spitzer Kapuze gehüllt. Er hatte die Augen geschlossen und meditierte, war ins Böse versenkt, wie er sagte.
Seine Anhänger standen und saßen auf und zwischen den Gräbern. Es waren Männer und Frauen jeden Alters und aller möglichen sozialen Schichten. Juden und Araber. Der Schwarze Yezdigerd und die Verehrung des Teufels vereinte sie alle. Da waren junge schlanke glutäugige Jüdinnen mit modernen Kleidern oder in Khakihosen und -hemden, ein paar ältere Männer in der Kleidung orthodoxer Juden mit geflochtenen Bärten, verschleierte Jordanierinnen und hagere sehnige Beduinen, mit der Dschellabah bekleidet.
Judith sah eine blonde sehr hübsche und sorgfältig zurechtgemachte Frau, eine Schauspielerin aus Jerusalem. Unweit von ihr saß ein älterer halbnackter Neger mit herkulischem Oberkörper und kahlgeschorenem Schädel.
Etwa dreißig Personen waren versammelt, darunter auch ein israelischer Major einer Panzerbrigade in voller Uniform. Die Männer und Frauen rauchten, tranken, redeten und lachten ausgelassen. Der Lärm, den die sechs Musikanten vollführten, wurde immer lauter und schriller. Alle nahmen mit den Getränken Drogen zu sich oder rauchten eine besonders fermentierte Abart des Cannabis-Krautes.
Judith trat zu Uri Sha'ani. Sie sagte kein Wort, und er öffnete die Augen nicht.
Trotzdem sagte er nach einer Weile: „Du bist gekommen, Judith. Mach dich für den Magischen Tanz fertig, mit dem wir den Geist deiner Schwester hierher bannen wollen, in eines der Gräber!" „Ja, Herr, Schwarzer Yezdigerd", sagte Judith und verbeugte sich.
Er senkte nun den Kopf, und sein Gesicht war kaum noch zu sehen.
Judith trat zu dem breiten, schweren Koffer, der zwischen zwei Grabsteinen stand. Sie öffnete ihn, legte ihren hellen Mantel ab und dann die restlichen Kleider. Nackt stand sie am Rande des Feuerscheins. Rötliche Reflexe und Schatten huschten über ihren schlanken Körper mit den festen Brüsten.
Ein paar von den Teufelsanbetern betrachteten sie gierig. Am Ende der Rituale pflegten sie Orgien auf dem Friedhof der Namenlosen zu feiern.
Judith nahm einen Bikini aus dem Koffer, der aus Goldplättchen bestand, und zog ihn an. Dann band sie einen langen, weißen und safrangelben Schleier hinten ins schwarze Haar. An ihren Fußgelenken befestigte sie Silberglöckchen. Die Augen des Mädchens begannen zu glänzen. Ihr Gesicht nahm einen
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