1073 - Liebling der Toten
auch schon getragen.
Deshalb wußte er, wie grausam sie sein konnten.
Der Mann trat zu.
Einmal nur.
Er kannte sich, er kannte seine Kraft. Kevin erwischte es voll. Er fiel auf den Rücken, schlitterte über den schmutzigen Boden und blieb vor der Tür liegen.
Dort bewegte er sich ebensowenig wie das Mädchen.
Der Zuhälter stieg über den Körper der Toten hinweg. Er näherte sich Kevin, bückte sich, knurrte dabei unwillig und hob den schlaffen Körper an. Er war sauer, daß ihm dieser Ärger eingebrockt worden war. Jetzt mußte er für ein vorläufiges Verschwinden der Leiche sorgen.
Den normalen Ausgang nahm er nicht. Es gab noch einen hinteren. Er war gesichert und mußte erst aufgeschlossen werden. Der Zuhälter hatte sich den schlaffen Körper auf die Schulter gepackt. Damit ging er über einen Hinterhof, tauchte ein in eine Seitengasse und fand schließlich einige alte, große und verrostete Müllcontainer, die ihm für eine Aufnahme der Leiche perfekt erschienen.
Dort verstaute er den Toten.
Danach ging er wieder zurück. Er hatte keinen Menschen gesehen und hoffte, daß er nicht gesehen worden war.
Lange würden die Mädchen nicht mehr bleiben. Es war die letzte Nacht.
Die zweite Leiche ließ er liegen. Zunächst mal, denn sie war eine perfekte Abschreckung für die anderen, sollten sie auch nur mit dem Gedanken spielen, zu verschwinden.
Kevin Morton wurde zwei Stunden später schon gefunden. Es waren seine Freunde, die ihn gesucht hatten, ihn dann entdeckten und seiner Mutter Bescheid gaben.
Sie ging nicht zur Polizei. Sie wollte ihren einzigen Sohn in der Wohnung behalten. Zunächst einmal, und es wunderte sie, daß sie so dachte.
Beinahe wie jemand, dessen Gedanken fremdbestimmt waren…
***
Hardy richtete sich auf!
Dabei bewegte er sich langsam und löste behutsam seine Lippen von denen des Toten. Er war erschöpft und überwältigt zugleich. Bilder von einer derartigen Intensität hatte er noch nie erlebt. Es kam ihm vor, als wäre alles noch warm und soeben erst geschehen.
Er mußte jetzt Ruhe haben, um nachdenken zu können. Kevin war tot, niemand holte ihn mehr ins Leben zurück, auch Hardy schaffte das nicht.
Aber Kevin hatte eine Botschaft hinterlassen, und genau daran mußte Hardy sich halten. Man hatte Kevin auf schreckliche Art und Wiese umgebracht. Durch einen einzigen Tritt. Brutal geführt. Tödlich. Kevin hatte nicht einmal die Chance bekommen, ihm auszuweichen oder sich zu wehren.
Hardy stöhnte auf. Er preßte die Handballen gegen die Schläfen. Die Intensität der aufgenommenen Bilder und Eindrücke hatte ihn stark erschüttert. Sie hingen in seinem Gedächtnis fest, er hatte sie gespeichert, weil er sie noch benötigte, aber er würde sie nicht mehr zurückholen können, auch wenn er noch einmal seine Lippen auf den Mund des Toten preßte. Es war deshalb nicht mehr möglich, weil sich die Aura zurückgezogen hatte. Die Eindrücke waren verblaßt.
Möglicherweise hatten sie auch nur einen Platz getauscht und waren jetzt in das Gehirn des anderen übergegangen. So genau wußte Hardy es nicht. Er war jedoch froh, daß Erica Morton auf ihn gehört hatte.
Wieder wandte er sich dem Toten zu. Er sprach mit ihm. »Du hast deinen Frieden gefunden«, sagte er mit leiser Stimme. »Möge der Himmel dich aufnehmen und dir das große Glück und den tiefen Frieden schenken, von dem viele Menschen träumen.«
Er schloß dem jungen Mann die Augen. Auch ein Zeichen der Endgültigkeit. Danach kümmerte sich Hardy um sich selbst. Er stand auf und wurde von leichtem Schwindel erfaßt. Der eigene Körper kam ihm leicht vor. Als er die ersten Schritte setzte, hatte er das Gefühl, zu schweben.
Die Erinnerungen an das Geschehene waren sehr frisch. Hardy wollte sie auch nicht abkühlen lassen und dafür sorgen, daß sie der Nachwelt überlassen wurden. Killer wie dieser Zuhälter mußten ihrer gerechten Strafe überführt werden. Da er selbst dazu nicht in der Lage war, würde er sich wieder an den Helfer wenden.
Wichtig war zunächst der Beweis. Er durfte nichts vergessen. Es war noch alles frisch. Seinen Block und den Stift nahm er wieder an sich, bevor er zur Tür ging.
Dort warf er noch einen Blick zurück. Er grüßte die starre Gestalt im Bett.
Das Licht ließ er brennen. Es verteilte sich auch um den Kopf des Jungen herum, als wollte es ihm einen Heiligenschein geben.
Er verließ den Raum. Etwas helleres Licht empfing ihn. Es strahlte ihm entgegen, für einen Moment schmerzte
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