1073 - Liebling der Toten
eine Obduktion ergeben.«
»Und Mrs. Morton hat Sie selbst gerufen?« erkundigte sich Tanner.
»Ja, so ist es gewesen.« Er hob die Schultern. »Sie wollte, daß ich den Totenschein ausstelle, aber ich war davon überzeugt, daß sie genau gewußt hat, daß ihr Sohn nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Jedenfalls bin ich froh, daß sie zufällig in der Nähe waren. Um den Abtransport des Toten…«
»Kümmern wir uns«, sagte der Chief Inspektor.
»Sehr gut.« Der Arzt holte etwas aus seiner Kitteltasche. »Ich darf Ihnen dann noch meine Karte hierlassen. Falls Fragen sind, können Sie sich an mich wenden.«
»Gern.«
Tanner nahm die Karte. Er begleitete den Arzt auch zur Tür. Dr. Owen verabschiedete sich noch von Mrs. Morton, die noch immer apathisch im Sessel saß.
Tanner und ich würden noch bleiben, denn Erica Morton war die einzige Spur, die uns möglicherweise zu dieser geheimnisvollen Gestalt führen konnte, die in der Lage war, mit Toten zu sprechen. Nur würden wir eine Unterredung sehr vorsichtig führen müssen.
Sie schaute mir entgegen, als ich das Zimmer betrat und die andere Tür hinter mir schloß. Sie hatte ihren Schock schon verdaut, auch wenn er nicht verschwunden war.
»Auch wenn Sie Polizisten sind, so denke ich, daß wir jetzt alle einen Schluck vertragen können.«
Der Meinung waren wir auch. Der Whisky stand im Schrank, und Mrs. Morton holte die Flasche und drei Gläser. Da ihre Hand zitterte, schenkte ich ein.
Wir tranken, setzten uns und ließen unsere Blicke über das bleiche Gesicht der Frau wandern. Es war schwer für uns, anzufangen, und deshalb suchten wir auch nach den passenden Worten, aber Mrs. Morton kam uns zuvor.
»Ich spüre, daß Sie etwas wissen, nicht wahr?«
»Was meinen Sie damit?« fragte Tanner.
»Stellen Sie Ihre Fragen. Die bedrücken Sie. Das sehe ich Ihnen an den Gesichtern an.«
Diesmal übernahm ich das Wort. Mrs. Morton hatte es nicht anders gewollt. »Kennen Sie einen Menschen, der in der Lage ist, mit einem Toten zu sprechen?«
Erica Morton überlegte kaum. »Ja!«
Das war deutlich. Tanner und ich schauten uns an. Ich stieß die Luft aus und nickte der Frau zu. »Damit habe ich wirklich nicht so schnell gerechnet.«
Sie lächelte müde. »Mein Gefühl sagt mir, daß Sie deswegen hierher gekommen sind.«
»Stimmt.«
»Sie sind ihm also auf der Spur?«
»Wem bitte? Wie heißt er?«
»Hardy!« lautete die Antwort. »Ich… ich… muß es einfach sagen. Ich kann einfach nicht anders. Es muß raus, verstehen Sie? Es ist so wahnsinnig wichtig. Ich habe verdammt viel durchgemacht und auch stark gelitten. Ich habe alles getan, was man mir aufgetragen hat, aber jetzt kann ich nicht mehr, und ich hoffe, daß Sie es verstehen.«
»Bestimmt, Mrs. Morton«, sagte der Chief Inspector. »Aber es wäre schon besser, wenn Sie uns alles von Beginn an erzählen. Wie Sie mit diesem Hardy zusammengekommen sind und wie lange Sie ihn schon kennen.«
»Kaum einen Tag und eine Nacht.«
»Und dann ist…«
»Hören Sie bitte auf, Mr. Tanner. Fragen stören mich, bringen mich durcheinander. Ich sage Ihnen, wie es gewesen ist. Dieser Hardy hat mir meinen toten Sohn in der vergangenen Nacht gebracht. Er hat mir auch erklärt, daß er in der Lage ist, mit den Toten in Kontakt zu treten. Dank seiner Fähigkeiten war es ihm möglich, die Gedanken aufzunehmen, die dem Verstorbenen kurz vor seinem Ende beschäftigt haben. Er hat sie gespeichert, in seiner Aura, wie ich hörte, und diese Aura soll auch noch nach dem Ableben vorhanden sein. Hardy konnte sie aufnehmen. Er behielt die Bilder und hat sie sogar gezeichnet. Ich bin selbst dabeigewesen.«
»Die er mir dann geschickt hat«, sagte Hardy.
Erica Morton schaute hoch. »Das ist Wahnsinn, Mister. Ja, er hat davon gesprochen, daß die Täter einer Gerechtigkeit zugeführt werden sollen. Jetzt weiß ich auch, was er damit gemeint hat.«
Im Moment sah es so aus, als ließe sich der Fall einfacher lösen als es den Anschein hatte. Glück, Zufall und auch Intuition hatten uns auf Mrs. Mortons Spur gebracht.
Sie karinte den Mann, der sich Hardy nannte. Ich hatte noch nie etwas über ihn gehört, und Hardy erging es ebenso.
Der Chief Inspector holte die Zeichnung hervor, die man ihm geschickt hatte. An Ericas Reaktion erkannte er, daß ihr dieses Blatt nicht unbekannt war. Sie schaute es mißtrauisch an, preßte die Lippen zusammen und schien nichts sagen zu wollen.
»Kennen Sie dieses kleine Kunstwerk?« fragte
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