1076 - El Toros Totentanz
oft genug über ihn geschrieben, und Vicente Ortega hatte sich auch geschmeichelt gefühlt, doch nun war es vorbei.
Er fühlte sich längst nicht so. Sein Inneres hatte sich völlig verändert. Er war zu einem anderen geworden, zu einem Schwächling, der sich auf dem Weg nach unten befand.
Er fühlte sich müde, ausgelaugt. Unter seinen Augen lagen die Ringe, die davon zeugten, daß er in der letzten Zeit wenig geschlafen hatte. Vor den Kämpfen gab es stets in ihm die große Spannung, aber nie war es so gewesen wie jetzt.
Es hing nur indirekt mit ihm zusammen. Wichtig allein war der Stier, der am nächsten Tag in der Arena sein und letztendlich durch ihn sein Leben aushauchen sollte.
Ortega hatte nie verloren und sich stets als Sieger feiern lassen.
Bis jetzt…
Morgen würde er wieder antreten, und schon heute und in den vergangenen Tagen war etwas eingetreten, das er ansonsten nicht kannte. Es war die Angst. Die kalte Furcht vor dem Stier, vor seinen Hörnern, vor seiner bulligen Kraft, die ihn dann in den Staub drückte und ihn mit seinem Blut färbte.
Ein Alptraum für jeden Torero. Vor seinen ersten Kämpfen hatte er ihn durchlitten, später nicht mehr, bis eben vor diesem entscheidenden Kampf. Da waren die Alpträume zurückgekehrt, auch bedingt durch die geheimnisvollen Anrufe und Warnungen, die ihm zugekommen waren. Es waren fremde Stimmen gewesen. Böse, flüsternd. Sie hatten von einem Heiligtum gesprochen, das ihnen geraubt worden war und nun in der Arena getötet werden sollte.
Zuerst hatte er gelacht, später nicht mehr, denn auch seine Verlobte war durch seltsame Begebenheiten in Angst versetzt worden. Durch Anrufe und auch durch Verfolgungen, aber der Kampf konnte nicht abgesagt werden. Es war der Stier. Das Supertier. Der große Kämpfer, den man bewußt für einen Mann wie Vicente geholt hatte.
An Kraft nicht zu überbieten. Magisch schon, wie man ihm versichert hatte. Diesen Stier zu töten, war das Absolute überhaupt, so hatte man gesagt.
Und Vicente Ortega hatte sich darauf eingelassen. Wenn er diesen Stier tötete, stand er ganz oben und würde eingehen in die Reihe der vergötterten Toreros.
Aber die Angst war da. Sie ließ sich nicht verscheuchen. Die andere Seite war ihm auf den Fersen.
Sie war einfach nicht zu stoppen, und er hatte den letzten Anruf noch vor einer Stunde erhalten.
Wieder war diese flüsternde Stimme durch die Leitung gedrungen. Sie hatte ihm erklärt, daß die Zeit jetzt vorbei und sein Todesurteil schon gesprochen war.
Nach diesem Telefonat war ihm das Haus, in dem er sich vor dem Kampf aufhielt, zu klein geworden. Gut, es war nicht groß. Schmal gebaut auf zwei Etagen. Es war sein Heim. Hier konnte er sich entspannen. Hier war er von der übrigen Welt abgeschnitten, hier wurde er nicht gestört.
Es gab zwar ein Telefon, aber die Menschen wußten genau, daß sie ihn in Ruhe lassen mußten. Nur in dringenden Fällen wurde angerufen, und die waren bisher nicht eingetreten.
Kleine Zimmer, Ruhebänke. Bilder an den Wänden, die nur die Siege der Menschen über die Tiere zeigten. Das alles war ihm bekannt, das liebte er auf seine Weise, aber es trug nicht dazu bei, ihn von seiner Furcht zu erlösen.
Die- Feinde waren da. Das machte ihm nicht einmal etwas aus, denn Feinde hatte jeder. Er war nur verärgert darüber, daß er nicht wußte, wer ihm da auf dem Fersen war. Er wußte nicht, wie seine Gegner aussahen, er kannte keine Namen. Sie kamen ihm vor wie eine rätselhafte Sekte, die ihn verfolgte.
Noch immer hielt er sich vor dem Spiegel auf. Sein Aussehen verbesserte sich nicht. Der Spiegel gab brutal die Wahrheit zurück. Er sah alt und ausgelaugt aus.
Schweiß schimmerte auf seiner gebräunten Haut. Er wischte die Tropfen weg, holte tief Luft und hatte dabei den Eindruck, ersticken zu müssen. Es war die Umgebung, die ihn störte. Die Enge, die auch sehr schlecht gewordene Luft, und er wußte genau, daß er es im Haus lange nicht aushalten konnte.
Weg - raus, hinein in den Garten. Dort herumgehen, nachdenken, die Nachtluft genießen. In den Himmel schauen und so weiter. Das war es, was ihm fehlte.
Er drehte sich. Schnell, wie jemand, der sich endgültig entschlossen hatte. Er stieß die Tür auf und atmete tief durch. Er blieb stehen. Sein Blick fiel in den kleinen, aber sehr gepflegten Garten.
Tagsüber war er wegen seiner blühenden Gewächse wunderbar anzuschauen, doch jetzt, in der Dunkelheit, wirkte er auf Vicente fremd und abstoßend. Zugleich
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