108 - Der schwarze Würger
hoch. „Ich werde auch dich .."
„Halt, Tomotada! Oder willst du das Leben deines Kindes leichtfertig aufs Spiel setzen?"
Ich blieb wie angewurzelt stehen.
„Du weißt, daß der Junge, den dir der Mitsu-me Nyodo verkaufte, mein Sohn ist?" fragte ich mit rauher Stimme. „Was verlangst du für ihn? Nenne mir deine Wünsche! Ich werde alles tun, was du verlangst."
Wieder ertönte ein glockenhelles Lachen, dessen spöttischer Unterton mich zur Raserei brachte.
„Du hast mir überhaupt nichts zu bieten, Tomotada", sagte die Frauenstimme. „Ja, wenn du jünger wärest, zarteres Fleisch besäßest…"
Ich sprang mit einem Wutschrei nach vorn. Das Geräusch von zerreißenden Papierwänden war im Hintergrund zu hören, aber der Schatten der Frau bewegte sich überhaupt nicht.
Ich schlug den Rahmen des kicho mit einem Schwerthieb beiseite, daß das Holz splitternd zerbarst. Vor mir kniete eine weibliche Gestalt. Sie trug einen Haori, der so bunt war wie die Flügel eines Schmetterlings. Die langen Hosen aus weißem, weichem Stoff spannten sich über ihren wohlgeformten, abgewinkelten Beinen. Sie war schlank. Das Haar hatte sie im Nacken zusammengebunden. Ihr Kopf lag auf der Brust. Vermutlich wäre sie längst schon umgekippt, wenn sie nicht von der Schwertlanze gestützt worden wäre, die ihr jemand mit solcher Wucht in die Seite getrieben hatte, daß ihr die Spitze am Halse herausragte. Ihr auch im Tode schönes Gesicht hatte nur einen Fehler: ihr Mund war weit aufgerissen und zeigte ein furchtbares Gebiß mit fingerlangen Zähnen.
Das mußte die Yama-Uba sein. Aber wer hatte sie getötet? Und wo waren mein Sohn und Tomoe? Hinter mir zerrissen Papierwände, als dunkle, schattenhafte Gestalten von allen Seiten in den Raum stürmten. Ich sah hinter der toten Bergamme ein Loch in der Wand. Durch dieses mußte der Unbekannte geflohen sein, der mit der Stimme der Yama-Uba zu mir gesprochen hatte.
Ich sprang hindurch. Doch plötzlich sah ich mich zwei schrecklich anzusehenden Gestalten in Rüstungen gegenüber, die mich mit ihren Waffen bedrohten.
In diesem Augenblick hallte durch das Haus ein schauriges Gelächter, das ich sofort erkannte. Es stammte eindeutig vom Kokuo von Tokoyo.
Und die beiden Krieger, die sich mir entgegenstellten, gehörten seinem Gefolge an. Hinter mir hörte ich viele Schritte. Ich war umzingelt, stand ohne das Tomokirimaru einer Übermacht gegenüber, nur mit einem herkömmlichen Schwert und einem Dolch bewaffnet.
Ich überkreuzte die Arme über der Brust und näherte mich so meinen beiden Frontgegnern. Sie belauerten mich aus kleinen, bösartig funkelnden Augen; die Schwerter zum Schlag erhoben, versuchten sie, meine Taktik zu durchschauen. Der Krieger, auf den mein Schwert gerichtet war, hatte sich halb von mir abgewandt, der andere ging seitwärts und blieb mit mir auf einer Höhe.
Ich wartete, bis sich einer von ihnen eine Blöße gab, dann reagierte ich blitzschnell. Ich drehte mich halb um die eigene Achse und Öffnete die Arme, so daß sich nun mein Dolch auf jenen richtete, den ich eben noch mit dem Schwert bedroht hatte.
Dieses Manöver kam für beide Gegner überraschend. Mein Dolch bohrte sich in die Brust des einen, das Schwert sank auf den anderen herab und schlug am Halsansatz in seine Schulter.
Der Weg nach vorn war für mich frei. Ich setzte über einen der Getroffenen hinweg und sprang durch eine Papierwand in den Innenhof des Gebäudes.
Dort erwarteten mich vier Krieger mit vorgehaltenen Schwertlanzen. Ich versuchte, die funkelnden Metallklingen mit meinem Schwert aus dem Weg zu räumen. Die Krieger mußten unter der Wucht meiner Hiebe einige Schritte zurückweichen. Doch diese vehemente Attacke gereichte mir nicht zum Vorteil; im Gegenteil, sie leitete meine Niederlage ein.
Ein Klirren - mein Schwert war an der naginata eines Gegners zerbrochen. Ich schleuderte die nutzlose Waffe nach ihm.
Jetzt trieben sie mich mit ihren Schwertlanzen vor sich her. Mit dem Dolch konnte ich nichts gegen sie ausrichten. Ich kam einfach nicht nahe genug an sie heran.
Plötzlich spürte ich im Rücken die Wand des Hauses. Die Klingen der Schwertlanzen näherten sich drohend, blieben nur einen Fingerbreit von meinem Körper entfernt in der Schwebe.
„Tötet mich!" verlangte ich. „Macht meinem Dasein endlich ein Ende!"
„O nein!" ertönte da die Stimme des Kokuo aus dem Hintergrund. „Du mußt weiterleben, Tomotada. Zwar hast du durch deinen Verrat meine Gunst verloren, aber
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