108 - Der schwarze Würger
der Tod wäre keine gerechte Strafe für dich. Du mußt in diesem Körper weiterleben - und leiden."
Wollust und Grausamkeit spiegelten sich auf seinem von eisengrauem Haar umrahmten Gesicht. Er hielt im Arm ein Kind von etwa anderthalb Jahren. Jetzt hob er die freie Hand. Ein Schmetterling saß auf seiner Fingerspitze.
Der Kokuo spitzte die Lippen, und der Schmetterling flatterte davon.
Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. In meiner Verzweiflung versuchte ich, mich in die Schwertlanzen zu stürzen, doch die Krieger waren aufmerksam und zogen ihre Waffen zurück. Ich fiel zu Boden und drehte mich schnell auf den Rücken herum. Da war der Schmetterling über mir. Er umkreiste mich und schlüpfte dann unter meine Gesichtsmaske. Gleich darauf spürte ich in meinem Mujina-Nicht-Gesicht einen schmerzhaften Biß. Mein Widerstand war gebrochen.
„Bringt ihn zur Hecke!" hörte ich den Befehl des Kokuo.
Ich wurde aufgehoben. Man schleifte mich durch das Haus und dann durch den Garten zu dem Dornenwall. Man hob mich hoch und warf mich in das Dickicht. Ich schrie vor Schmerz auf, als sich von allen Seiten die Dornen in meinen Körper bohrten, versuchte, mich zu befreien, aber es war bereits zu spät. Die Hecke hatte sofort zu wuchern begonnen und mich eingeschlossen. Ich konnte mich nicht aus eigener Kraft befreien.
Die Krieger zogen sich zurück. Es verging eine geraume Weile, bevor der Kokuo auftauchte. Er trug noch immer das Kind auf dem Arm.
„Erkennst du das Balg nicht wieder?" fragte der Kokuo. „Es ist dein Sohn, Tomotada."
Ich zerrte wie von Sinnen an der Hecke, doch das Dornengestrüpp gab mich nicht frei.
„Gib dir keine Mühe, Tomotada!" sagte der Kokuo. „Du wirst hier für immer gefangen sein. Vermutlich weißt du inzwischen alles über deine früheren Leben und daß ich dir vor langer Zeit einmal in anderer Gestalt begegnet bin. Leider blieb es mir versagt, dich zu meinem Sklaven zu machen. Aber wenigstens kann ich verhindern, daß du eine neue Wiedergeburt erfährst. Du wirst für alle Zeiten in diesem Körper gefangen sein. Dafür werden meine Kijin sorgen. Es tut mir ehrlich leid, dich verlieren zu müssen, doch sei gewiß, dein Sohn wird dich vollwertig ersetzen!
Ich brüllte auf vor ohnmächtiger Wut. Der Kokuo weidete sich an meiner Qual.
Er wartete, bis mir die Stimme versagte, dann fuhr er fort: „Ich will dir verraten, was ich mit deinem Sohn vorhabe. Er soll in die Fußstapfen des Tomotada treten, der du einmal warst. Auch er soll Tomotada heißen. Ich weiß, daß auch er die Saat der Mujina in sich trägt. Deshalb wird er deine Maske tragen. Er wird mir Zeit seines Lebens treu dienen, denn diesmal werde ich besonders darauf achten, daß er nicht von seinem vorbestimmten Weg abkommt."
Er griff mit abgewandtem Gesicht nach meiner Maske und riß sie mir vom Kopf.
Einige Zeit sah ich die Umgebung noch durch die Maske. Von allen Seiten schwirrten Kobolde auf mich zu und hockten sich auf mein Mujina-Nicht-Gesicht.
Oni-bi - flimmernde Teufelsfeuer - schossen wie Kugelblitze durch die Luft und brannten die Hecke an einer Stelle nieder, so daß der Kokuo mit seinem Gefolge, meinen bedauernswerten Sohn auf dem Arm, passieren konnte.
Das war das letzte, was ich sah, bevor sich Finsternis auf mich senkte. Ich konnte nichts sehen und nichts hören, aber ich fühlte den Schmerz, als sich die Kijin mit ihren scharfen Zähnen in meinen Körper fraßen.
Seit damals ist viel Zeit vergangen. Ich bin mit der Hecke eins geworden. Und ich habe ein neues Gesicht bekommen, kann meine Umgebung sehen und die Geräusche rund um mich hören.
Ich sehe durch die Augen eines Kijin, der mit meinem Mujina-Nicht-Gesicht verwachsen ist. Durch seinen Mund nehme ich auch Nahrung auf, die die anderen Kobolde heranbringen.
Ich habe den Verfall des Prunkgartens der Yama-Uba mit angesehen. Er ist verwildert. Der Dschungel hat ihn unter sich begraben. Von dem schönen Haus sind nur noch einige verkohlte Reste zu sehen. Wahrscheinlich haben die Teufelslichter des Kokuo das Haus bei seinem Abzug eingeäschert.
Ich leide unter der Einsamkeit. Die Kijin tun alles, um meine Qual zu vergrößern. Sie erinnern mich immer wieder an das Schicksal meines Sohnes, der mit den Jahren zu einem Schwarzen Samurai heranreifen würde - eines Tages sein Gesicht verlieren mußte, um dann die Eiserne Maske zu tragen. Er würde dem Namen Tomotada gerecht werden.
Eine Ewigkeit schien inzwischen vergangen, ohne daß sich an meinem Zustand
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