108 - Die Werwölfe des Dr. Satanas
Mrs. Nelly in ihrem Blut...
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Auf den
ersten Blick war zu sehen, dass hier kein Arzt der Welt noch etwas ausrichten
konnte. Eine Minute stand Morna wie vom Donner gerührt. Die Leiche von Aunt
Nelly wies die gleichen furchtbaren Verletzungen auf wie die Tom Eloys und der
Krankenschwester. Morna Ulbrandson sah ihre schlimmsten Befürchtungen
bestätigt. Colemans VC 98 wirkte im Blut eines Menschen. Dieser Mensch wurde
zum Werwolf, und er musste sich noch hier im Haus aufhalten. „Finch ... wir
müssen ihn kriegen!“ Mornas Stimme klang schmerz- und grauenerfüllt. Sie deckte
ein Laken über die tote Frau, die in einem Anfall sinnloser Raserei, wie er
typisch für einen Tiermenschen war, ihr Leben verloren hatte. Mit großer
Wahrscheinlichkeit durch einen Menschen, der sie sehr liebte, der aber diese
Liebe in seinem neuen Zustand völlig vergessen hatte. „Er darf uns nicht
entkommen, Finch ... Er muss noch hier im Haus sein.“ Morna unterbrach sich,
als sie sich umwandte. „Finch?“, fragte sie verwundert. Von dem
Nachrichtenagenten war nichts zu sehen. Finch Preston musste sich ins Dunkle
geschlichen haben oder war durch eine Bewegung oder ein Geräusch angelockt
worden. Morna war diese Tatsache durch die momentane Aufmerksamkeit, die sie
der Toten entgegenbrachte, entgangen. Über ihr knarrten Dielen. Mornas Blick
ging die schmale Stiege empor, die zum Dachboden führte. Tatsächlich, die
Klappe stand offen! X-GIRL-C ging über die Stiege nach oben. Also hatte sie
sich vorhin doch nicht getäuscht. Hier oben war jemand gewesen. Und sie wusste
auch, wer dieser Jemand war. Nur einer kam infrage: Der Werwolf...
Er war,
während er seine letzte Tat ausführte, durch die Ankunft der beiden PSA-Mitarbeiter
gestört worden und auf den Dachboden geflohen. „Finch?“, fragte Morna leise,
als sie direkt unter der Klappe stand. Es erfolgte keine Antwort, und Morna
merkte, wie ihre Kopfhaut sich zusammenzog. War dem Begleiter etwas zugestoßen?
Die Schwedin nahm ihren Smith & Wesson Laser zur Hand und entsicherte ihn.
Dann stieg sie die letzten Stufen hoch. Dort oben war es stockdunkel, aber es
gab auch hier einen Lichtschalter. Mitten in dem kahlen und staubigen, mit
Spinnweben durchsetzten Dachboden hing eine altmodische Leuchte mit einem
flachen, weißgrauen Metallschirm. Morna streckte zuerst die Hand durch die
Öffnung, um zu sehen, ob ein Angriff auf sie erfolgte. Nichts geschah. Da schob
sie vorsichtig ihren Kopfüber den Rand der Einstiegsöffnung. Direkt neben ihrem
Gesicht hing eine schmutzige Kordel, an deren unterem Ende ein Plastikknopf
befestigt war. Es handelte sich um den Lichtschalter. Er knackte hart, als Morna
daran zog. Die nackte Birne unter dem Metallschirm spendete trübes Licht. Sie
war staubbedeckt und mit Spinngewebe verhangen. Der Dachboden sah aus wie eine
einzige riesige Rumpelkammer. Hier war im Lauf vieler Jahre alles Mögliche
hergeschleppt, hingestellt oder achtlos hingeworfen worden. Alte, verschlissene
Sessel, auf einem Podest ein Januskopf und einige andere Kitschfiguren aus
Stein und Keramik standen zwischen Kisten und aufgestapelten Schachteln,
zwischen einer alten Schneiderpuppe und haufenweise alten Kleidern, in denen
sich allerlei Ungeziefer angesammelt hatte. An dem winzigen, mit hauchfeinem
Maschendraht überspannten Dachfenster stand ein alter Gartentisch mit einer
Vorrichtung für einen Sonnenschirm. Der Schirm selbst war ausgebleicht, das
Gestänge verrostet. Aus unerfindlichem Grund war er wie viele andere Dinge
heraufgeschleppt und der Gerümpelsammlung einverleibt worden. Auf einem Sofa,
dessen Bezugsstoff schon fadenscheinig war, saßen alte Puppen, Teddybären und
andere verstaubte und vergammelte Plüschtiere und schienen mit ihren schwarzen,
leblosen Glasaugen die auf den Dachboden kommende Schwedin anzustarren. Hier
oben, hinter all dem Kram, gab es zahllose Möglichkeiten, sich zu verstecken.
Hier oben musste er sein, der Werwolf... und auch Finch Preston! Mornas Sinne
waren zum Zerreißen gespannt. „Finch?“, fragte sie leise. Sie wollte
absichtlich provozieren. Wenn Finch Preston hochgestiegen war und sich umsah,
musste er sie doch hören ...
Der Dachboden
war sehr geräumig. Er ging hinter dem Sofa weiter. Dort hinten, im dunklen
Bereich unter dem nackten Dachgebälk, gab es keine zweite Lampe. Im Streulicht
erkannte Morna die Umrisse eines Regals, das sich unter der Last alter
Zeitungen, Zeitschriften, Bücher bog. Hierauf standen auch einige
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