1080 - Hexenwald
zwar von der Strömung erwischt, aber nicht mehr losgetrieben, sondern stemmte sich dem schaumigen Wasser entgegen.
Jens spürte unter seinem Körper die weiche Erde. Das war der Grund, das mußte - schon die Schräge der Uferböschung sein, die längst überspült oder zum Teil vernichtet worden war.
Das war ihm alles gleichgültig. Er dachte nur daran, daß er dieser Hölle entwischt war. Jens mobilisierte seine letzten Kräfte. Er hörte sich selbst jammern und stöhnen. Das Wasser zerrte an seinen Beinen, weil es ihn wieder in sein Reich ziehen wollte.
Diesmal war Jens stärker. Stück für Stück zog er sich aus der Flut hervor. Aufs Trockene gelangte er zwar nicht, es war überall naß, aber er lag nicht mehr im Wasser und brauchte auch nicht zu befürchten, zu ertrinken.
Luftholen. Ausatmen. Nie hatte es ihm soviel Spaß gemacht wie jetzt. Er war naß bis auf die Haut und fühlte sich regelrecht ausgewrungen. Das alles war ihm jetzt egal. Er hatte diese Mutprobe bestanden. Zwar mit viel Glück, und sein Bike war auch verschwunden, aber es gab ihn noch.
Das Wasser strömte und gurgelte an Jens vorbei. Es zerrte und spülte noch an seinen Füßen, doch es würde keine Chance bekommen, ihn wieder in das Flußbett zu holen.
Der Junge wollte sich noch etwas ausruhen und dann zu Fuß nach Hause gehen. Dort mußte er den Verlust des Rads und auch sein Aussehen erklären. Das war ihm alles gleichgültig. Das Wichtigste sein Leben - hatte er gerettet.
»0 Scheiße, o Scheiße, wenn ich das jemandem sage, glaubt mir das keiner. Das ist verrückt. Da kann man nur noch durchdrehen. Die lachen mich aus, die halten mich für einen Spinner, für einen Arsch, aber nicht…« Er sagte nichts mehr. Es tat ihm plötzlich leid, ohne sein Rad zu sein, und als er den Kopf drehte, um zur Brücke zurückzuschauen, da kam ihm plötzlich in den Sinn, daß er diesen Weg nicht mehr nehmen konnte.
Die Brücke war nicht mehr da. Das Wasser hatte sie weggeschwemmt. Die Stütze, die Planken, all das alte Holz war zu einer Beute des Bachs geworden. Aber ihn mußte er überqueren, um wieder in das Dorf zu gelangen. Es sei denn, er machte einen großen Umweg über die Wälder, den Sumpf, den es dort jetzt gab.
Durch den ehemaligen Bach zu schwimmen, das traute er sich nicht. Also zu Fuß.
Auch das würde Ärger geben. Es war nicht so wie bei trockenem Wetter. So leicht kam er nicht weg. Die neuen Seen, die sicherlich bald verschwanden, wollte er auch nicht durchlaufen, denn sie waren zu gefährlichen, unbekannten Gewässern geworden.
Jens Küppers schaute sich um. Das Wasser hatte ihn in eine sehr verfilzte Uferregion gespült. An der Böschung hatten schon früher Sträucher ihren Halt gefunden und sich dabei tief in die Erde eingegraben. Das war auch jetzt nicht anders. Zwar hatte das Wasser einige Teile herausgerissen, es jedoch nicht geschafft, den Bewuchs zu lösen. So gab er dem Jungen noch immer Halt und auch Sichtschutz.
Er wollte hoch, rutschte aber weg und fiel wieder hin.
Jens ärgerte sich. Er fror plötzlich. Wer naß bis auf die Haut war, konnte sich bei diesem frischen Wetter leicht eine Lungenentzündung holen. Da war die Kälte wie ein böser Fluch, der in seinen Körper hineinkroch.
Zu einem zweiten Versuch kam er nicht mehr. Jens hatte sich an einem nassen, biegsamen Zweig festgehalten. Die Beine hatte er ebenfalls schon angezogen, als er einen Blick nach rechts warf, das Gebüsch genauer betrachtete und sich plötzlich fühlte wie von tausend Schlangen umklammert.
Da lag jemand!
Jens Küppers wurde noch blasser. Plötzlich fühlte er sich nicht mehr vorhanden. Er hoffte, irgendwohin getragen zu werden. Den Anblick konnte er einfach nicht ertragen. Ihm war sofort klar, daß der Mann nicht mehr lebte, denn sein erster Blick war auf das totenbleiche und auch nasse Gesicht gefallen.
Es war so schrecklich verzerrt, aber es sah anders aus, als das der Leiche in den Krimis. Hier standen die Augen nicht weit offen, bei diesem Toten war auch der Mund geschlossen, und was der Junge sah, als er genauer hinschaute, raubte ihm beinahe den Verstand.
Jemand schrie laut auf.
Jens Küppers glaubte, daß es ein anderer war als er selbst. Bis er einsah, daß er die Schreie ausgestoßen hatte. Er fühlte sich wie angeklebt, er konnte jetzt nicht mehr weg. Das andere war viel stärker als der eigene Wille, und er schaute wie unter einem Zwang stehend nur auf den Toten.
Wichtig war das Gesicht!
Es sah schrecklich aus, denn
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