1083 - Das Mondschein-Monster
perfekt. Du fehlst uns noch im Reigen.«
»Gut, dann warte ich auf dich.«
»Danke, meine Freundin.«
Danach war Giselle gegangen. Tricia hatte sich am folgenden Tag ziemlich allein gefühlt. Sie war schwer in ihre eigenen Gedanken versunken gewesen und hatte sich bei ihrer »Arbeit« nicht richtig konzentrieren können. Das war nicht weiter aufgefallen. Gegen Nachmittag meldete sie sich krank.
Kopf- und Bauchschmerzen peinigten sie. Die Chefs des Unternehmens waren zwar nicht begeistert, besonders die Chefin nicht, aber ein Mädchen, das nicht in Form war, brachte nur eine negative Reklame, und das wollte die Frau auch nicht. So hatte sie Tricia hoch in ihr Zimmer geschickt, damit sie sich dort ausruhen konnte. Tricia versprach, am nächsten Tag wieder fit zu sein.
Sie stand am Fenster und wartete auf den Beginn der Nacht. Die Dämmerung hatte das Licht des Tages bereits abgelöst, und am immer grauer werdenden Himmel schälte sich allmählich der Kreis des Mondes hervor. Noch war er nur ein blasser Kreis, aber mit vergehender Zeit würde er an Intensität gewinnen und schließlich als gelber Ball die Schwärze durchbrechen.
Der Mond beschien nicht nur das Haus selbst, sondern auch seine Umgebung, die sehr waldreich war. So stimmte der Name schon, denn das Haus und das Hotel lagen ziemlich versteckt. Es gab nur eine schmale Straße als Zufahrt. Hinter dem Ort Longcross mußte der Besucher abbiegen und in die Einsamkeit fahren. Das Haus war ein Geheimtip unter Kennern. Über den Zulauf konnten sich die Betreiber nicht beklagen, aber sie hielten den Ansturm der Gäste in Grenzen. Das konnten sie sich bei den Preisen auch erlauben.
Tricia war nervös. Sie schaute auf und durch die Scheibe. Das Andere, das für sie noch Unerklärliche hielt sich draußen versteckt. Verborgen in der Dämmerung und später auch in der Finsternis.
Es war ihr nicht möglich, sich ein Bild von ihm zu machen, als Bild sah sie nur sich selbst, wie sie sich in der Fensterscheibe spiegelte.
Eine schöne, junge Frau mit langen dunklen Haaren, die wie ein ungebändigtes Fell wirkten, das bis hinab in den Rücken fiel. Sie war nicht mager oder dünn. Ihre Figur hatte schon etwas aufzuweisen.
Formen und eine gewisse Fülle an den richtigen Stellen. Das liebten die Kerle, deshalb gehörte sie auch zu den Mädchen, nach denen am meisten gefragt wurde.
Tricia hatte ein nettes Gesicht mit halbrunden Wangen, einer kleinen Nase und vollen Lippen. Sie hatte sich an diesem Abend nicht umgezogen wie zum Dienst. Sie hatte ein langes Kleid übergestreift, das mehr einem Umhang glich. Ein feiner Stoff, dunkel wie ihr Haar. Dazu trug sie flache Sandalen, die bequemer waren als die Schuhe mit den spitzen Absätzen, die Männer so sehr liebten.
Sie wartete.
Und sie wurde immer nervöser. Giselle hatte ihr keinen genauen Zeitpunkt für den Besuch genannt, doch das Versprechen würde sie halten. Da kannte Tricia sie gut genug.
Noch immer hatte sie ihre Entscheidung nicht getroffen. Das wollte sie erst tun, wenn sie Giselle gegenübersaß. Aber die Nervosität war nicht zu stoppen. Sie brauchte einen Schluck, um sich zu beruhigen. Im Schrank neben dem Bett stand eine angebrochene Flasche Wodka. Hin und wieder brauchte sie einfach einen Schluck, auch wenn die Betreiber des Bordells das nicht gern sahen, aber mit den Gästen mußte sie auch trinken.
Sie drehte die Flasche auf, setzte sie an die Lippen und ließ den scharfen Schnaps in die Kehle rinnen. Daß er dabei etwas brannte, störte sie nicht. Das war sie gewohnt, das kannte sie, ebenso wie ihr Schütteln, nachdem sie die Flasche abgesetzt hatte.
Der Schluck hatte ihr gutgetan. Er wärmte sie durch, und sie trank noch einen zweiten. Es war besser, wenn sie die Welt mit etwas anderen Augen sah, und Tricia rechnete auch damit, daß sie sich dann eher entscheiden konnte.
Sie stellte die Flasche wieder zurück in den Schrank, um weiterhin auf den Besuch ihrer Freundin zu warten. Was Giselle versprochen hatte, das hielt sie auch. Tricia wußte es. Eigentlich war es ja eine Ehre, in den Kreis aufgenommen zu werden. Zwar war das Verhältnis zu den Kolleginnen nie schlecht gewesen, aber die große Herzlichkeit mit der die fünf miteinander umgegangen waren, hatte bei ihr schon gefehlt. Das würde sich ändern, wenn sie zugestimmt hatte. Dann gehörte sie endlich zum eigentlichen Kreis.
Es war gut. Es war okay. Ihr Entschluß stand fest. Sie würde dem Kreis beitreten. Sie wollte ihre Bedenken über Bord
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