1084 - Stätte der Verdammnis
Stimmen, kein Lachen, keine Musik, aber die Bar war auch nicht menschenleer, denn es gab die anderen fünf Frauen nach wie vor.
Sie standen, sie saßen, sie schauten nicht uns an, sondern hielten die Köpfe gesenkt und blickten zu Boden, denn dort lagen wie hingegossen zwei Gestalten.
Eine Frau und ein Mann!
Keiner der beiden rührte sich. Sie waren so tot wie man nur tot sein konnte.
Es waren Helen und Peter Riley. Ob sie aus eigener Kraft den Pool-Bereich verlassen hatten oder geholt worden waren, das war mir unbekannt. Man hatte sie in die Mitte der Bar gelegt, wo die Toten wie ein makabres Happening wirkten.
Aus einer gewissen Entfernung gelang mir ein Blick in ihre Augen. Es war klar, daß der Tod sie endgültig erwischt hatte. Es gab kein helles Licht mehr, es waren nur die normalen Augen vorhanden, und sie zeigten einen gebrochenen Blick.
Giselle stand hinter der Bar, als hätte sie sich in der letzten Zeit nicht von der Stelle gerührt. Sie sprach mich nicht an, sie hatte nur den Kopf leicht angehoben, als Tricia und ich eintraten. Auch ihre Augen zeigten die Veränderung, aber sie waren noch nicht normal geworden. Weiterhin befand sich Giselle unter dem Einfluß des Mondschein-Monsters und der Aibon-Magie. Das Licht wirkte jetzt wie eine schwache Farbe, die in die Augen hineingepinselt war.
Kein Wort drang aus ihrem Mund. Auch die anderen vier Frauen sagten nichts. Sie saßen wie Puppen an den Tischen. Sie wirkten müde und abgeschlafft. In den Augen sah ich den gleichen Zustand wie in denen der Giselle.
Zusammen mit Tricia bewegte ich mich auf die Bar zu. Wieder steuerte sie den Platz an, den ich kannte. Wir stellten uns wieder so auf, und ich nickte zu den Toten hin. »Was ist mit ihnen passiert, Giselle?«
Müde hob sie zuerst den Kopf, dann die rechte Hand. Sie blieb in der Luft schweben und fiel nicht wieder zurück auf die Bartheke. Mit monotoner Stimme gab sie mir eine Antwort. »Die Rileys kamen zu uns. Sie gingen nicht normal, in ihren Augen war das Licht des Paradieses, aber dann hörten wir alle die Musik. Es ging uns schlecht. Wir wurden so schwer und träge.«
»Aber nicht die Rileys.«
Mit trauriger Stimme antwortete sie. »Nein, nicht sie. Die Musik war zu schlimm für sie. Beide starben. Beide vergingen. Sie fielen hin und standen nicht mehr auf. Es war vorbei für sie. Auch wir konnten ihnen nicht mehr helfen. Die Musik war zu stark.«
»Was passierte mit euch?«
»Schau dich um, wir warten.«
»Es ist gleich Mitternacht. Ich weiß, daß ihr darauf hofft, aber ich will wissen, wie ihr die Melodie erlebt habt. Nichts anderes verlange ich von dir.«
»Es war schlimm, sehr schlimm.« Wieder sprach sie langsam und leise. »Ich konnte nicht dagegen ankämpfen. Ich merkte, daß alles über mir zusammenbrach. Ich kam nicht mehr dagegen an. Wir wurden schwach. Unsere Kraft wurde geraubt. Nichts ist mehr so, wie wir es uns erhofft haben. Gar nichts.«
»Sehr gut«, sagte ich. »Dann wäre es am besten, wenn wir gehen.«
Mein Vorschlag gefiel ihr nicht. Zwar kehrte etwas mehr Leben in sie zurück, und sie hob auch den Kopf an, um mich anzustarren, aber sie hielt sich zurück.
»Sofort«, sagte ich.
»Nein!«
»Soll es euch so ergehen wie den Rileys?«
Ihre Gestalt straffte sich. Jetzt sprach sie mit lauter Stimme und meinte nicht nur mich. »Wir bleiben. Wir sind es ihm schuldig. Wir können ihn nicht im Stich lassen. Er hat uns dieses Leben eingehaucht. Er wird zurückkehren. Das Paradies ist uns versprochen worden, und wir werden uns von keinem davon abbringen lassen.«
Meine Position sah nicht gut aus. Wie sollte ich gegen diese Uneinsichtigkeit angehen? Mit Gewalt?
Das brachte nichts. Sie ließen sich eher erschießen, als die Seite zu wechseln. Auch Tricia hielt zu ihren Kolleginnen, denn sie lachte mich an. »Du kannst es nicht schaffen. Kalik ist stärker. Wir befinden uns auf dem Sprung. Schau dich doch um. Siehst du die Schatten des Landes? Siehst du sie? Das grüne Licht, die Gegend, die Bäume, die Gräser, die Büsche. Das Tor zum Paradies ist offen, und wir werden es erleben.«
»Nein, es ist das Tor in die Verdammnis!«
Sie schüttelte den Kopf. »Hör auf damit. Du bist längst nicht stark genug, um alles in deinem Sinne zu regeln. Wir sind die Macht. Wir und auch Kalik.«
Ich enthielt mich einer Antwort und bewegte nur den Kopf, weil ich sehen wollte, wie sich die anderen verhielten. Bis auf die dunkelhäutige Carry saßen sie bewegungslos auf ihren Plätzen.
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