1085 - Rattenliebe
waren schon immer so gewesen. Das hatte sich in Jahrtausenden nicht verändert.
Das Weib lockte, und die Kerle ließen sich locken. Da vergaßen sie all ihre Vorsicht.
Das Verlies war von Teresas Standort aus mit wenigen Schritten zu erreichen. Grau und schmutzig malte sich die Eisentür ab. Ein Viereck im hinteren Teil der alten Fabrikhalle.
Sie ging hin. Die Ratten blieben nicht zurück. Sie wuselten um ihre Füße, Sprangen sie an, schrieen mal auf, aber sie behinderten Teresa nicht so stark.
Die Eisentür sah aus wie ein völlig verschmutzter Spiegel. Daran klebte der Dreck wie feuchte Schmiere. Die Tür war abgeschlossen, und nur Teresa besaß den Schlüssel.
Das Loch wurde von einer nachgeformten kleinen Schutzklappe bedeckt, die sich leicht bewegen ließ. Teresa schob sie zur Seite und holte den Schlüssel hervor.
Wie immer glitt er ohne zu stocken in das Loch. Teresa mußte ihn zweimal drehen, um die Tür zu öffnen. Sie ließ sich Zeit, wartete ab. Sie dachte daran, in welchen Zuständen sie die anderen Kerle schon erlebt hatte. Fertig mit den Nerven waren sie alle gewesen. Sie hatte einen gekannt, der war als wimmerndes Bündel über die Schwelle gekrochen und dann weggerannt.
Ein anderer hatte gar nichts gesagt. Bleich wie eine gekalkte Wand und ohne ein Wort zu sagen, hatte er das Verließ verlassen und war gegangen. Er hatte nicht einmal einen Rattenbiß abbekommen, und er hatte Teresa auch mit keinem Blick gewürdigt. Später hatte sie sein Konterfei in der Zeitung gesehen und gelesen, daß dieser Mann Selbstmord begangen hatte.
Sein Pech…
Andere litten unter Schmerzen. Ihre Kleidung war von den Zähnen der Ratten zerfetzt worden, und auf der Haut hatten sich die kleinen Wunden dunkel abgemalt wie Aussatz.
Sie war gespannt, wie es Mick Spiro ergangen war.
Gelassen drückte Teresa die Klinke nach unten. Sie mußte etwas zerren, um die Tür zu öffnen. Dann schwang sie ihr entgegen. Es entstand eine Öffnung, so daß düsteres Licht aus der Halle in das Verlies fallen konnte. Es erhellte den Raum nicht, aber es verscheuchte die absolute Finsternis.
Die Frau blieb für wenige Sekunden auf der Schwelle stehen, weil sich ihre Augen erst an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen mußten. Als sie dann nach vorn schaute, da schlug ihr Herz schon schneller, denn heute war es anders als sonst.
Spiro lag auf dem Boden und bewegte sich nicht mehr. Alle anderen hatten mitbekommen, daß die Tür geöffnet worden war und sich entsprechend verhalten, wenn auch unterschiedlich.
Nicht so Spiro.
Er lag auf dem Rücken. Er war so still. Die trippelnden Geräusche stammten von den kleinen Füßen der Ratten, die ihre dunklen Verstecke verlassen hatten, um ihre Herrin zu begrüßen.
Teresa hatte sich darüber immer gefreut. In diesem Fall allerdings nicht. Da war sie wie vor den Kopf geschlagen. Etwas ging nicht mit rechten Dingen zu, das wußte sie. Sie klemmte die Tür mit einem Holzscheit fest und ging auf Spiro zu.
Neben ihm blieb sie stehen.
Er rührte sich noch immer nicht. Sein Körper zeigte einige Bißwunden, aber die waren nicht tödlich.
Der Blick in seine Augen sagte Teresa alles. Nein, in diesem Mann steckte kein Funken Leben mehr. Er war tot. Er hatte die Tortur nicht überstanden, und sie fragte sich, welchen Fehler sie begangen hatte.
Ein leiser Fluch drang über ihre Lippen. Einen Toten konnte sie nicht gebrauchen. Das bedeutete Ärger. Er mußte beseitigt werden. Man könnte ihn auch den Ratten überlasen. Vielleicht war das sogar besser.
Sie ging in die Hocke. Noch immer wieselten die Tiere um sie herum, zupften an ihr, kratzten auch über ihre Kleidung, fiepten wieder, doch sie kümmerte sich nicht um die Tiere.
Sie faßte den Toten an.
Seine Haut war kalt. Der Mund stand offen, als hätte Spiro in den letzten Minuten seines Lebens nur noch gestaunt. Teresa Gentry konnte sich seinen Tod nicht erklären. Den Ratten konnte und wollte sie nicht die Schuld geben. Hier war etwas anderes passiert. Sie war keine Ärztin, doch sie konnte sich vorstellen, daß dieser Mann eines natürlichen Todes gestorben war.
Möglicherweise hatte er einen Herzschlag bekommen. Es wäre für sie die naheliegendste Alternative gewesen, aber daran wollte sie jetzt nicht denken.
Der Mann war tot, und nur das zählte.
Teresa erhob sich. Ohne den Ausdruck des Bedauern in ihren Augen schaute sie auf den Toten nieder. Ja, er war zu einem Problem geworden. Sie selbst wollte es nicht lösen, sondern ihre
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