1087 - Blutjagd
die Hälfte des Speisewagens hinter sich gelassen. An die Geräusche des fahrenden Zugs hatte er sich gewöhnt. Er nahm sie nur noch am Rande wahr. Er konzentrierte sich völlig auf seine Umgebung. Es war so still geworden. Abwartend still, vielleicht auch unheimlich, denn der Blutsauger verbreitete seine Atmosphäre. Eine gefährliche Spur, die nur mit sehr sensiblen Sinnen zu erfassen war, und genau die besaß der Reporter.
Er wechselte die Waffe in die linke Hand, weil er sich den Schweiß von der rechten Handfläche abwischen mußte. Die Nervosität ging an ihm nicht vorbei. Da reagierte er wie jeder Mensch in einer derartig angespannten Lage.
York ließ sich nicht blicken. Er blieb versteckt. Oder er hatte den Wagen längst verlassen. Diesmal hielt er sich nicht unter der Decke auf, da war ein anderes Versteck besser für ihn.
Vor der Tür stoppte Bill. Dahinter lagen die Wagen der ersten Klasse. Estelle Crighton war in die entgegengesetzte Richtung gegangen, um nach den Blutsaugern zu suchen.
Die Wagen waren durch eine Plattform verbunden, über die Reisende gehen mußten. Bill brauchte nur die Tür aufzuziehen, doch er zögerte. Etwas hielt ihn davon ab. Er schob es auf sein Gefühl, auf den Siebten Sinn, wie auch immer. Er hatte einfach den Eindruck, hier im Speisewagen gebraucht zu werden.
Er drehte sich um.
Der Kellner hatte sich jetzt hingesetzt und den Kopf nach hinten gelegt. Vor seine Nase hielt er ein weißes Tuch. Die Blutflecken im Stoff sah Bill ebenfalls.
»Was ist mit deinen Kollegen?« rief er ihm zu.
»Die machen Pause.«
»Wo?«
Der Kellner ließ das Tuch sinken und drehte den Kopf. »Neben der Küche gibt es zwei Pritschen, da haben sie sich hingelegt.«
»Auch der Koch?«
»Nein, der wollte noch zur Toilette…« Plötzlich sprang der Kellner hoch. Sein Schicksal interessierte ihn nicht mehr. Er dachte nur noch an den Kollegen und schüttelte den Kopf, trotz der Schmerzen.
Bill lief einige Schritte auf ihn zu. »He, was hast du? Was ist mit dem Koch?«
»Der… der… hätte eigentlich schon zurück sein müssen. Ehrlich.« Er tupfte wieder gegen seine Nase. »O verdammt, wenn dem was passiert ist? Wenn dieser Hundesohn ihn sich geholt hat…«
»Wie heißt du?«
»Silvio.«
»Okay, Silvio, wir beide stehen auf einem verdammt einsamen Posten. Ich möchte, daß du nachschaust, ob deine Kollegen noch schlafen oder wie auch immer. Und halte auch nach dem Koch Ausschau. Komm dann zurück, ich werde hier so lange warten.«
Silvio hatte alles verstanden. Er war nur nicht in der Lage, dies alles nachzuvollziehen. »Hören Sie, was ist hier überhaupt los? Dieser Mann, der mich gepackt hat… dann Ihre Waffe… jagen Sie einen Killer?«
»So ähnlich.«
Silvio war das zu wenig. »Das ist doch kein normaler Killer. So etwas habe ich noch nie erlebt. Der ist ein… ein…«
»Denken Sie nicht darüber nach. Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe.«
»Ja, schon gut.« Der Kellner warf Bill einen scheuen Blick zu, bevor er sich umdrehte, um wegzugehen.
Er kam nicht mehr dazu.
Der Schrei war furchtbar. Gesicht und Körper schienen erstarrt zu sein. Er stierte nur in eine Richtung, und Bill drehte sich auf der Stelle.
Jetzt sah er gegen die Fensterfront des Wagens. Was man ihm da zeigte, war kaum zu glauben.
Vor einer Scheibe hing, schwebte und pendelte, auch vom Fahrtwind getrieben, ein Mensch. Er war über das Dach hinweggeblasen worden, wurde aber dort noch durch harte Griffe an den Beinen festgehalten. In einem makabren Rhythmus schlug das blutverschmierte Gesicht des Mannes immer wieder gegen die Scheibe.
»Das ist der Koch!« brüllte Silvio.
***
Estelle Crighton hatte es nicht rechtzeitig genug geschafft, ihre Hand zurückzuziehen. Die andere Klaue war schneller gewesen. Sie hatte sich buchstäblich um ihr Handgelenk gedreht und sie von der Schwelle der offenstehenden Abteiltür in das Innere gezogen.
Die Hand gehörte einer Frau. Aber sie war keine normale Frau mehr, denn in ihrem offenen Mund zeigten sich deutlich die beiden spitzen Vampirzähne.
Estelle hatte auch den Hals an der linken Seite sehen können. Dort war die Schaffnerin angefallen worden, und der Blutsauger mußte regelrecht gewütet haben, denn es zeichneten sich dort nicht nur zwei Bißstellen ab. Ein Teil der Haut war wie von einem scharfen Messer eingeschnitten worden und hing herab. Blut hatte die Wunde verkrustet. Es schimmerte dort braunrot.
Dieses Bild war für Estelle wie eine Momentaufnahme
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