1087 - Blutjagd
daß das Gelände sich wie eine lange Böschung in die Höhe schob. Es stieg nicht steil an, allerdings stetig und blieb trotzdem relativ flach.
Der Zug mit den Reisenden blieb ebenso hinter mir zurück wie deren Stimmen. Ich bewegte mich auf völlig unbekanntem Gelände und traute mich nicht, die kleine Lampe einzuschalten. Auch ein schwacher Lichtpunkt war in der Dunkelheit sehr gut zu sehen, und ich wollte auf keinen Fall ein Ziel abgeben.
Am Zug war es heller gewesen. Jetzt mußten sich meine Augen an die veränderten Verhältnisse gewöhnen, was sehr bald der Fall war. Ich machte schon Unterschiede aus und sah auch, daß sich vor mir ein breiter Schatten abmalte wie ein geschwungener Wall.
Das waren keine Wolken, die tief gesunken waren. Ich rechnete damit, einen Wald vor mir zu sehen, denn die Hügel und niedrigen Berge in dieser Gegend zeigten den Bewuchs aus Bäumen.
Der Wald eignete sich als Versteck. Er lag auch nicht weit vom Zug entfernt, und ich spürte, wie mein Herz etwas schneller schlug. Ich hatte einfach das Gefühl, hier richtig zu sein und achtete nur darauf, meine Schritte möglichst unter Kontrolle zu bekommen. Ich ging nicht mehr normal, wich Hindernissen wie vom Sturm abgerissenen Ästen und Zweigen aus, stieg manchmal über Steine hinweg.
Nahe des dunklen Waldrands wuchs das Gras höher. Als ich mich einmal umschaute, war der Zug scheinbar kleiner geworden. Er lag schräg unter mir. Aus den Fenstern der Wagen grüßten verschwommen die Lichter, durch die sich die Schatten der Reisenden bewegten, wenn sie auf und ab gingen.
Von Suko und Bill sah ich nichts, die beiden trieben sich auf der anderen Zugseite herum. Ich aber war mit wenigen Schritten dicht an den Waldrand herangekommen.
Dort blieb ich stehen.
Der Wind wehte gegen mein Gesicht. Er streichelte die Haut. Es war auch kalt. In den letzten Stunden war die Temperatur gestiegen.
Der Wald war nicht ruhig. Er atmete aus wie ein großes Lebewesen. Geheimnisvolle und raschelnde Geräusche. Kleintiere, die jetzt unterwegs waren, gejagt wurden oder auf die Jagd gingen. Sie huschten durch das Unterholz, und manchmal vernahm ich ein schrilles Pfeifen, wenn Mäuse auf der Flucht waren.
Doch Mäuse können nicht sprechen.
Und eine Stimme hörte ich.
Sie gehörte einem Mann, einer Person oder auch einem Vampir. Ich hatte diesen Ezra York nie reden gehört, konnte mir allerdings vorstellen, daß er es war, der sich da erklärte.
Ich wurde noch vorsichtiger. Er durfte mich nicht zu früh sehen. Ich wollte so dicht wie möglich an ihn heran, um ihn dann überraschen zu können.
Es war nicht leicht, die Richtung zu bestimmen. Der Wald gab seltsame Echos von sich. Die Stimme schien sich an den kahlen Baumstämmen zu fangen und von ihnen abgestoßen zu werden. So hatte ich das Gefühl, von verschiedenen Seiten beschallt zu werden.
Rechts und links. Aber auch von vorn erreichte mich die Stimme. Sie war menschlich, aber sie klang in einem gewissen Maße hohl und dumpf. Das konnte auch an der Umgebung liegen, an den Lücken, an den Bäumen, am seltsamen Schall, so daß sich manche Worte überlappten und das eine das vorherige einholen wollte.
Eine Antwort bekam der Sprecher nicht. Vielleicht hörte ich sie auch nicht. Das war alles möglich.
Und so ging ich langsam und schleichend weiter, konzentriert auf diesen von unheimlichen Leben erfüllten Wald.
Das mußte der Blutsauger sein. Für mich gab es einfach keine andere Möglichkeit. Ich dachte auch nicht ganz so pessimistisch. Wenn Ezra York sprach, dann hatte er seinen Grund. Da mußte es einen Zuhörer geben oder eine Zuhörerin.
Schritt für Schritt bewegte ich mich näher an den Ort des Geschehens heran. So jedenfalls hoffte ich.
Dann verstummte die Stimme.
Ich hatte in der letzten Zeit einige Worte verstehen können. Es war auch leicht für mich, einen Zusammenhang herzustellen, und jetzt wußte ich Bescheid, mit welch einem Gegner ich es zu tun hatte.
Es war ein Urvampir.
Einer, der aus der Urzeit stammte, und ich stellte auch die Verbindung zu den Kreaturen der Finsternis her. Wahrscheinlich gehörte der Blutsauger zu ihnen und hatte nur das Aussehen eines »normalen« Vampirs angenommen. Einer Blutbestie, wie ich sie kannte. Sein wahres Gesicht allerdings hielt er verborgen, um es schließlich zu einem bestimmen Zeitpunkt zu präsentieren, der jetzt durchaus eingetreten sein konnte.
Es war nicht still geworden, obwohl der andere nicht mehr redete. Andere Geräusche hatten
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