109 - Die Atemdiebin
Bratenfett nämlich in Strömen herab.
Als die Schankmagd eine entsprechende Bemerkung machte, erntete sie von allen Seiten zustimmendes Gelächter - und eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte. Golluk langte schneller über die Theke, als die meisten folgen konnten, und er schlug der jungen Frau zweimal ins Gesicht. So heftig, das Phiins Kopf von einer Schulter zu anderen flog. Das blonde, mit Kämmen festgesteckte Haar rutschte auseinander und ließ eine lose Strähne in ihr Gesicht fallen.
Überrascht taumelte sie zurück. Beide Wangen röteten sich, als stünden sie in Flammen. Tränen füllten Phiins Augen.
Obwohl deutlich zu sehen war, dass sie nicht vor allen Leuten weinen wollte, entfuhr ihr ein lautes Schluchzen. Sie biss sich auf die Lippen und rannte wimmernd zur Küche hinaus.
In dem Bistroo hielten alle den Atem an. Nur das Knistern einiger Fackeln störte die Stille. Und das tierische Knurren, mit dem sich Golluk zu voller Größe aufrichtete und herausfordernd in die Runde sah.
»Gibs hiar iggendein, dens nich passt, dasich der Aldn ne Legtzion erteilt hab?«, lallte er mit schwerer Zunge und hielt sich dabei mit der Linken am Tresen fest, um nicht ins Schwanken zu geraten.
Niemand antwortete direkt, dazu war sein starker Arm zu gefürchtet, doch der Unmut über seine ruchlose Tat äußerte sich rasch in abfälligen Rufen und Bemerkungen.
»Maul haldden!«, forderte der Hüne. »Alle zusamm!«
Als die Schmähungen, die stets in seinem Rücken erklangen, nicht enden wollten, griff er nach seinem Teller und schleuderte ihn ziellos durch den Raum. Die Bratenreste verteilten sich über den Boden, bevor er scheppernd gegen die Wand knallte. Die Gäste verstummten. Es hatte wenig Sinn, ihn noch weiter zu reizen. So wie er jetzt dastand, mit hochrotem Kopf, beide Pranken zum Kampf erhoben, bot er auch einen furchterregenden Anblick.
»Drecksack«, stieß Alaan zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Den sollte der Atemdieb heimsuchen und keinen anderen.«
In dem rückwärtigen Durchgang, der zur Küche führte, erschien der Wirt. Ein fülliger Kerl mit schütterem Haar, der eine ehemals weiße, nun von Bratensaft gefärbte Schürze trug und eine gespannte Mini-Armbrust in der Rechten hielt.
Der eingelegte Pfeil maß nicht mehr als eine Handspanne, doch das reichte, um ein Herz zu durchbohren. Venura, der Wirt, hatte es schon mehrmals unter Beweis gestellt.
»Okee, das reicht!«, rief er und richtete die Waffe auf den Hünen. »Du hast mein Bistroo das letzte Mal betreten. Steckst du nur noch ein einziges Mal deine Nase zur Tür herein, nagel ich sie hiermit am Rahmen fest.«
Trotz seines umnebelten Verstandes merkte Golluk, dass es seinem Gegenüber ernst war. Nur eine falsche Bewegung und Venura würde schießen, das stand deutlich in dessen hart glänzenden Augen zu lesen.
»Dein Fraß hängt mir sowieso zum Hals heraus«, giftete der Hüne, um sein Gesicht zu wahren, bevor er schwankend den Rückzug antrat.
Alle waren darauf gefasst, dass er noch zu dem Messer in seinem Gürtel greifen würde, um es nach Venura zu schleudern, doch er öffnete einfach nur die Tür und verschwand in der dunklen Nacht.
»So ein feiger Arsch.« Alaan atmete auf, denn er hatte schon Blut fließen sehen. Als er sich umwandte, um sein unterbrochenes Gespräch fortzusetzen, erlebte er jedoch eine böse Überraschung. Die Fremde trank gerade mit hastigen Zügen den Becher leer, knallte ihn auf die Theke und eilte, ohne ein Wort des Abschieds, an ihm vorbei.
Außer dem Lischettenjäger bemerkte kaum jemand, wie sie die Schenke verließ. Alle waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich über Golluks Verhalten zu ereifern.
Ohne sein erkaltendes Essen zu beachten, durchquerte Alaan den Schankraum und trat an eines der Straßenfenster. Obwohl links und rechts der Straße dunkle Ruinen aufragten, konnte er noch sehen, wie die Fremde Golluk einholte, auf ihn einsprach und sich bei ihm unterhakte.
Er war wie vor den Kopf geschlagen. Litt die Kleine an Geschmacksverirrung? Kopfschüttelnd kehrte Alaan an seinen Platz zurück. Der Appetit war ihm gründlich vergangen.
»Was ist los?«, fragte Venura, der gerade die Mini-Armbrust entspannte. »Stimmt etwas nicht?«
Alaan griff nach dem Brabeelenwein und trank einen Schluck. »Was weiß ich? Versteh einer die Weiber…«
***
Dicht an Golluk geschmiegt, eilte Amelie durch die Nacht.
Angetrunken, wie der stinkende Hüne war, hatte sie ihn nicht groß becircen
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