Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
109 - Die Atemdiebin

109 - Die Atemdiebin

Titel: 109 - Die Atemdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
Vom Netzwerk:
ihren Brüsten klimperten die silbernen Anhänger, denen sie die Erinnerung an ihren Namen verdankte.
    Golluk, von dem sie auch nicht mehr als eine Silhouette erkannte, stieß grunzende Laute aus und trat näher, um sie an sich zu reißen. Amelie kam ihm zuvor. Blitzschnell stießen ihre Hände in die Höhe und packte ihn links und rechts im Gesicht.
    Alkoholisierter Atem schlug ihr entgegen. Sie spürte seine Körperwärme, die ihr eng anliegendes Gewand in Wallung brachte. Jede einzelne Faser, ja jedes Molekül begann plötzlich um sich selbst zu kreisen. Im Bruchteil einer Sekunde verlor das Material seine Konsistenz und verflüssigte sich.
    Amelie spürte, wie sich die Bündchen ihrer Ärmel weiteten und in die Länge streckten. Es kitzelte ein wenig, als sie über die Hände hinweg wuchsen und sich den Fingern perfekt anpassten, wie zwei maßgeschneiderte Handschuhe. Obwohl sie Golluk gepackt hielt, lief die Masse über den Fingerkuppen zusammen und schloss sich. Mehr noch, sie drang in Golluks Haut ein und breitete sich auf seinen Wangen aus.
    Warme, pulsierende Ströme liefen durch den blauen Anzug und nährten sie auf eine Weise, die sie selbst nicht verstand.
    Amelie wusste nicht, warum sie anderen das Leben entziehen musste, um ihr eigenes zu erhalten. Sie tat es einfach, so wie ein Verdurstender trank, ohne zu verstehen, wozu der Körper die Flüssigkeit brauchte.
    Golluk blieben die Unmutsbekundung, die er ausstoßen wollte, im Halse stecken. Amelie hatte in den letzten Monaten dazu gelernt. Sie wusste inzwischen, dass die Lähmung am schnellsten eintrat, wenn sie ihre Opfer sofort in Kopfhöhe anzapfte. Mit etwas Glück schadete das auch der Erinnerung.
    Nach Möglichkeit pirschte sie sich an Schlafende heran, um ihnen einen Teil des »Atems« zu rauben, doch dafür blieb heute keine Zeit. Sie hatte zu lange gezögert, zu lange dem schlechten Gewissen nachgegeben. Nun musste sie den Hunger stillen, so schnell es ging.
    Der Anzug formte weitere Tentakel, die dem Opfer entgegen strebten und seine bloßen Hände umwickelten.
    Wangen und Hals des Hünen wurden längst von einem blauen Film bedeckt, der langsam seine Brust hinab wanderte.
    Golluk erzitterte unter der Attacke. Er versuchte gegen die Lähmung anzukämpfen, aber es gelang ihm nicht. Aus seinem Mund drang ein Rasseln, wie bei jemandem, der kurz vor dem Ersticken steht. Amelie minderte den Energieabfluss ein wenig, ganz einfach indem sie daran dachte. Das warme wabernde Material, das sie nahtlos bis zum Hals umgab, gehorchte dem mentalen Befehl. Golluk entspannte sich, ohne jedoch die Kontrolle über seinen Körper zurückzugewinnen. Sein Atem ging nun regelmäßig. Das war gut, denn Amelie wollte ihn nicht töten, sondern sich nur gerade weit genug regenerieren, um die kommenden Tagen schadlos zu überstehen. Obwohl es sie durchaus nach mehr dürstete.
    Das Hallen von Schritten ließ sie zusammenzucken. Amelie spitzte die Ohren. Kein Zweifel, irgendjemand nahte durch die angrenzende Gasse.
    »Weibsvolk!«, erklang es unvermittelt. Erregt hervorgestoßen, doch undeutlich formuliert. Typisch für jemanden, der mit sich selbst redete. »Könnte von mir alles haben, aber nein, schmeißt sich lieber diesem brutalen Holzkopf an den Hals.«
    Alaan, der Lischettenjäger! Verdammt, musste der ausgerechnet jetzt seine Fallen überprüfen?
    »Möchte bloß wissen, was sie an dem findet!« Seine Stimme befand sich nun auf gleicher Höhe mit dem Torbogen.
    »Hässlicher als der bin ich doch nun wirklich nicht.«
    Golluk bemerkte ihre Ablenkung und beschloss zu handeln.
    Ohne jede Vorwarnung sackte er mit seinem ganzen Gewicht nach vorn. Amelie konnte ihn nicht rasch genug halten. Sie stolperte zurück, bis sie mit den Schulterblättern gegen die steinerne Fassade prallte. Grelle Lichtpunkte explodierten vor ihren Netzhäuten. Kein Schmerzlaut drang über ihre Lippen, doch den dumpfen Laut, der von der brüchigen Mauer zurück hallte, konnte sie nicht verhindern.
    Staub rieselte in ihre Haare. Er stammte von dem Balkon über ihnen. Die Erschütterung hatte sich bis dorthin fortgepflanzt.
    Golluk versuchte um Hilfe zu schreien. Vergeblich. Die Lähmung seiner Stimmbänder konnte er nicht überwinden.
    Doch der Schmerz, der Amelie von den Schultern bis in den Kopf durchzuckte, ließ sie so weit die Kontrolle verlieren, dass er mit den Händen nach ihr packen konnte.
    Es war ein stiller, verbissener Kampf, in dem der Hüne seine überlegene Körperkraft voll

Weitere Kostenlose Bücher