109 - Die Atemdiebin
steile Steintreppe empor, bis sie in einer Straße landeten, in der die Menschen von allen Seiten zusammen strömten.
»Jetzt ist es nicht mehr weit«, versprach Blaance, die hemmungslos von ihren Ellenbogen Gebrauch machte, um sich einen Weg durch den immer dichter werdenden Auflauf zu bahnen. Matt wusste nicht recht, was Aamiens Clan von ihm erwartete, trotzdem blieb er den Männern, Frauen und Kindern auf den Fersen. Ihn interessierte selbst, was es mit den angeblichen Mumien auf sich hatte, seit die Technos von St. Genis Laval bestätigt hatten, dass sie die Stadt wegen der rätselhaften Todesfälle mieden.
»Lasst uns durch!«, forderte Blaance lautstark. »Hier kommt eine mächtige Schamanin, die den Atemdieb bannen will!« Ein dichtgedrängter Pulk an der nächsten Straßenecke, der irgendetwas kreisförmig umstand, geriet daraufhin in Bewegung.
Viele der Männer und Frauen hatten ihre Kleidung mit Relikten aus der Vergangenheit herausgeputzt. Matt sah einen abgebrochenen Mercedesstern, an einer Kette um den Hals getragen; billige, zu Armreifen verbogene Metallgabeln; Elektrokabel, die als Gürtel dienten und sogar einen zum Helmschmuck umfunktionierten Gartenzwerg. Alles Fundstücke aus den umliegenden Ruinen.
»Los, macht schon!«, scheuchte Blaance die Liioner zur Seite. »Macht Platz für Aruula, die Meisterin des fliegenden Stahlwurms!«
Matt bat die enthusiastische Barbarin, sich etwas zu mäßigen. Vergeblich. Sie schenkte ihm nicht die geringste Beachtung. So kam es, dass sich viele hoffnungsvolle Augen auf Aruula richteten und eine Gasse gebildet wurde.
Seiner Gefährtin war die großspurige Ankündigung in keiner Weise peinlich. Mit erhobenem Haupt, den Bihänder auf dem Rücken, trat sie neben den Leichnam und sah gelangweilt auf ihn hinab. Beinahe so, als ob sie dergleichen schon oft gesehen hätte. Matt ging es da ganz anders. Das ausgelaugte, knittrige Greisengesicht, das sie aus gebrochenen Augen anstarrte, schlug ihm auf den Magen. Es sah aus, als wäre das Leben schon vor vielen Jahren aus ihm gewichen.
»Ist der Mann irgend jemanden bekannt?«, fragte Matt laut in der Sprache der Wandernden Völker. »Und weiß jemand, wie alt er ist?«
Die Antwort ließ eine Weile auf sich warten. Zuerst sahen ihn nur alle staunend an, denn mit seiner modernen Uniform bot der Pilot – im Unterschied zu Aruula – einen starken Kontrast zu der in Fell und Leder gekleideten Menge.
»Das ist Golluk«, erklärte endlich ein Barbar mit langen blonden Haaren. »Er ist über dreißig Sommer alt, aber längst noch keine vierzig. Gestern im Bistroo wirkte er noch ganz normal. Heute Mittag, als ich meine Lischettenfallen überprüfte, bin ich in einem Hinterhof beinahe über ihn gestolpert. Ohne seine Kleidung hätte ich ihn vielleicht gar nicht erkannt.«
Alaan, so hieß der gesprächige Barbar, erzählte noch, dass er einige Freunde herbeigerufen und die Leiche bis hierher geschleppt hatte. Matt hörte aber nur noch mit einem Ohr hin.
Ihm war gerade etwas an Golluks Fingern aufgefallen, das seine Aufmerksamkeit erregte. Ein bläulicher Schimmer, der laufend den Farbton änderte. Neugierig kniete Matt nieder, um das Phänomen zu untersuchen.
Es schien sich um winzige Stoffreste zu handeln, die unter zwei Fingernägeln festklemmten. Doch als er die Fetzen berührte, verflüssigten sie sich. So viel zu der Theorie, es könnte sich um Kleidungsfasern des Mörders handeln.
Die kalte Haut des Toten knisterte wie Pergament, als er die Hand vorsichtig anhob und von allen Seiten betrachtete. Matt zog sein schmales Messer aus der Gürtelscheide, setzte die Klingenspitze unter dem ersten Nagel an und kratzte die seltsame Substanz hervor. Sie blieb kleben, wie ein Stück Kitt, und nahm wieder ihre stoffliche Konsistenz an. Als er jedoch erneut dagegen tippte, wurde sie tropfenförmig und breitete sich über die gesamte Fingerkuppe aus.
Matt durchzuckte ein kurzer Stich, wie eine Nadel bei der Blutuntersuchung. Er versuchte sich keinen Schmerz anmerken zu lassen und beobachtete, wie der Tropfen zu einem runden Fleck verlief. Ein sehr ungewöhnliches Phänomen, für das es keine Erklärung gab. Da es in Zusammenhang mit etwas Lebensbedrohlichem stand, kamen ihm unwillkürlich die Daa'muren in den Sinn. Konnte es sein, dass sie dahinter steckten? Handelte es sich vielleicht um eine neue Waffe, mit der sie die Menschen bedrohten…?
Aruula ging neben ihm in die Hocke. »Was hast du da?«, fragte sie.
»Ich weiß
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