109 - Die Atemdiebin
»aber warum treffen wir uns nicht später bei Venura im Bistroo? Dort bist du heute Nacht vor Aruulas Nachstellungen sicher.«
Amelie versprach dem Lischettenfänger, ihn dort aufzusuchen. Zufrieden stapfte er daraufhin fort, ohne zu ahnen, was sie in Wirklichkeit plante.
***
Forviere bei Nacht
Ob Ruine oder nicht, die Basilika auf den Hügeln von Forviere war ein Monument für die Ewigkeit, das die umliegende Trümmerlandschaft weithin sichtbar überragte.
Aus wuchtigen Felsblöcken erbaut, denen auch die Jahrhunderte nichts anhaben konnten, würden ihre trutzigen Mauern noch aufrecht stehen, wenn die Menschen, die sich heute in ihrem Schatten duckten, längst zu Staub zerfallen waren.
Das Dachgewölbe mit den kupfernen Schindeln, das sich einst zwischen den vier Ecktürmen gespannt hatte, war längst zusammengebrochen. So drang der gelbe, kränklich wirkende Mondschein bis auf den Boden der entweihten Halle. Dort wo Balken, kupferne Schindeln oder Mauerreste in die Lichtflut ragten, entstanden dunkle Zonen des Niemandslandes. Doch die beiden an zwei rückwärtigen Säulen in Ketten geschlagenen Männer ließen sich hervorragend vom Nordturm aus erkennen.
Ein schattenhaftes Flattern, das die Aufnahme durchkreuzte, gestattete einen kurzen Blick auf Digger 3, der gerade eine Position innerhalb der Ruine einnahm. Corporal Farmer, der die dressierten Kolkraben mittels elektronischer Impulse steuerte, wartete, bis sich der Vogel niedergelassen hatte, bevor er die Perspektive wechselte. Für den Bruchteil einer Sekunde erlosch der Flüssigkristallmonitor, dann wurde er von einer neuen Aufnahme erfüllt. Die Übertragung von Digger 1 wechselte dagegen in ein kleines Fenster an der linken Seite, gleich unterhalb den Bildern von Digger 4, der seine Kreise weiträumig um den Hügel zog.
Matt, Aruula und Selina rückten enger aneinander, um Andrew über die Schulter zu schauen. Dank Restlichtverstärker und Speziallinsen lieferte Digger 3 einen weitaus besseren Kontrast, als es ihren eigenen Augen möglich gewesen wäre.
Deutlich sahen sie die Delinquenten, die auf ihr Urteil warteten. Einer von ihnen, ein junger Mann mit vorzeitig ergrautem Haar und scharfen Falten in den Augenwinkeln, wirkte ruhig und gefasst. Den Rücken an die Säule gelehnt, hockte er auf seinen Stiefelabsätzen und sah direkt in die Kamera, anscheinend froh darüber, dass sich etwas Lebendes wie der Rabe zu ihnen gesellte.
Der andere wandte hingegen das Gesicht furchtsam ab. Am ganzen Leib zitternd, wälzte er sich hilflos von einer Seite auf die andere und begann an den Ketten zu zerren, die seine Handeisen an einen drei Meter über ihm in die Säule geschlagenen Haken fesselten. Er zerrte und stemmte sich mit beiden Füßen gegen die Säule – vergeblich.
»Hau doch ab, verdammtes Vieh«, wimmerte es aus den Boxen, als Farmer die Lautstärke für einige Sekunde hochregelte.
Matt begriff erst jetzt, dass die Männer den Raben für den Atemdieb hielten. Oder zumindest für einen Boten Krahacs, der ihnen den baldigen Tod ankündigte. Der Jammerlappen, von dem sie wussten, dass er Noot hieß, beruhigte sich erst wieder, als Digger 3 zur Seite hüpfte, statt ihm das Leben auszusaugen.
Links und rechts eines freigeräumten Ganges türmten sich Schutt und Dreck in der Kirchenhalle. Zwischen herabgestürzten Rundbögen und hereingewehten Ästen, die wie lange schmale Geisterfinger in die Luft ragten, suchte sich der Vogel ein schützendes Plätzchen, das gleichzeitig gute Übersicht bot. Von hier aus sahen sie das Geschenk an Raagnar, das Noot zum Verhängnis geworden war: den platt geschlagenen Zigarettenanzünder eines Peugeot 305.
Corporal Farmer regulierte die Lautstärke wieder nach unten. Auf der Übertragung erschien ein Balkendiagramm, das sich unterhalb der Skala auf Null verkleinerte. Der Schein des Monitors, der ihn von schräg unten anleuchtete, verlieh seinem Gesicht einen grausamen Zug. Dunkle Schatten verlängerten seine Mundwinkel bis ins Groteske, als er flüsterte: »Ist wohl nicht zu übersehen, wer von den beiden ein schlechtes Gewissen hat und wer nicht.«
Selina berührte ihn sanft an der rechten Schulter. »Ganz friedlich, Corporal. Wir sind nicht hier, um Recht zu sprechen, sondern um zu prüfen, ob die Franzosen heimlich Waffen an den Barbaren testen.«
»Vielleicht besitzt Elon nur die besseren Nerven«, gab Matt zu bedenken. »Angstzustände sind noch lange kein Schuldeingeständnis,«
Andrew Farmer warf ihm einen
Weitere Kostenlose Bücher