1099 - Das Kollektiv der Porleyter
Das starre Gesicht verriet intensive Konzentration. Unnatürlich weite Augen, die in fiebrigem Glanz leuchteten, blickten durch die rosafarbene Wand hindurch ins Innere der strahlenden Kuppel. Sühe Baator nahm teil an dem Chaos, das sich in der Kollektiv-Aura der Porleyter entwickelte. Mehr als das, er selbst war der Anstifter.
Atlans Bewußtsein sträubte sich mit aller Kraft gegen den peinigenden Schmerz, der von der hektisch pulsierenden Kuppel ausging. Am Rand des Blickfelds sah er huschende Schatten. Sie befanden sich in wilder Flucht: Mitglieder der beiden Arbeitsteams, die von Marek Hussan und Naron Duur geleitet wurden. Der eine oder andere unter den Fliehenden stürzte und blieb reglos liegen, zu Boden gestreckt von der psionischen Eruption der Kollektiv-Aura. Verzweiflung ergriff den Arkoniden. Er sah die Katastrophe kommen. Die Vibration der Aura strebte einer Resonanzfrequenz entgegen, bei der die Amplitude der pochenden, pulsierenden Schwingung ins Unendliche wachsen würde. Das energetische Feld konnte eine derartige Belastung unmöglich überstehen. Es würde zerreißen und die in ihm gespeicherte Energie explosionsartig freisetzen. Wer die Wirkungsweise der Kardec-Schilde kannte, der wußte, daß die Detonation verheerende Folgen haben mußte. Ein Großteil des Bezirks Karakoto würde verwüstet werden.
Er war der einzige, der die Katastrophe kommen sah. Aber er konnte sich nicht rühren.
Sühe Baator hatte ihn unter seinen Bann gezwungen. Er war zur Hilflosigkeit verdammt.
Aber war das wirklich so? Er appellierte an den Extrasinn, die letzten Kraftreserven zu mobilisieren und die latente Energie der Mentalstabilisierung zur Bildung eines wie auch immer gearteten Abwehrschirmes gegen das psionische Pochen und Dröhnen der Kollektiv-Aura zu verwenden. Er konzentrierte sich auf den schmächtigen Mongolen und auf die Gestalten der Fliehenden. Er dachte an die Katastrophe, die diesem Teil der Metropole bevorstand, wenn es ihm nicht gelang, sich aus Sühe Baators Bann zu lösen - und tatsächlich, das Dröhnen schien leiser zu werden, das mörderische Pochen in seinem Schädel verlor an Intensität.
Seine Bewegung war blitzschnell und, wie er meinte, völlig überraschend. Er stürzte sich auf Baator. Seine Hände schossen auf den dürren Hals zu und trachteten danach, sich um die Kehle zu schließen. Hatte er den Mongolen unschädlich gemacht, würde sich der Aufruhr im Innern der leuchtenden Kuppel womöglich wieder legen. Das war seine Hoffnung - die einzige, die ihm noch blieb.
Aber Sühe Baator schien über zwei Bewußtseine zu verfügen. Das eine verharrte im Zustand der Trance und kommunizierte mit den Porleytern, das andere achtete auf die Umgebung und sorgte dafür, daß die Bemühungen des ersteren nicht gestör wurden.
Als Atlan seine Überrumpelung schon für gelungen hielt wich der Mongole mit einer unglaublich schnellen Bewegung zur Seite. Atlan wurde durch den eigenen Schwung nach vorne gerissen. Mit tiefer, grollender Stimme, die aus dem Mund eines Fremden zu kommen schien, fuhr Sühe Baator ihn zornig an: „Du Narr! Du verstehst nicht, worum es hier geht. Ich könnte dich töten, aber was wäre mir damit geholfen."
Atlan erhielt einen harten Schlag in den Nacken. Halb bewußtlos, fühlte er sich in die Höhe gehoben. Ein kühler Windzug strich ihm übers Gesicht. Er verlor den Halt, fühlte die Schwerelosigkeit des Sturzes und prallte mit voller Wucht auf den versengten Boden des Parks.
Benommen richtete er sich auf. Im Innern der Kanzel saß der Mongole, starr und mit geweiteten Augen wie zuvor. Das Luk hatte sich wieder geschlossen. Atlan war unbewaffnet. Es hatte keinen Sinn, mit bloßen Händen gegen den Feind vorzugehen.
Sein Blick suchte am Rand des Platzes entlang. Er sah eine kleine Gruppe von Gestalten, ausgestattet mit den unförmigen Helmen zum Schutz gegen mentale Einwirkung. Eine hünenhafte Gestalt erteilte mit gestikulierenden Armen und dröhnender Stimme Anweisungen. Das war Marek Hussan mit dem schwindenden Häuflein seiner letzten Getreuen. In unmittelbarer Nähe bereitete Naron Duur wertvolle Instrumente zum Abtransport vor.
Atlan kam nur mühsam vorwärts. Die Abschirmung, die der Extrasinn mit Hilfe der Energie der Mentalstabilisierung errichtet hatte, war nur teilweise wirksam. Noch immer bearbeitete die psionische Ausstrahlung der Kardec-Aura sein Bewußtsein mit pochenden, dröhnenden Schlägen. Taumelnd erreichte er den Rand des Platzes.
Hussan
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