11 - Nie sollst Du vergessen
uns nichts zu bieten haben, was wirklich Hand und Fuß hat, Mr. Pitchley, verschwenden wir alle hier nur unsere Zeit.«
»Darf ich Sie daran erinnern, Chief Inspector, dass Mr. Pitchley aus reinem Entgegenkommen hier ist«, schaltete sich Jake Azoff ein, dem von dem bestellten Saft ein Fitzelchen Orangenmark wie gefärbter Vogelkot im Schnauzer hing. »Etwas mehr Höflichkeit würde sein Erinnerungsvermögen vielleicht anregen.«
»Ich nahm an, Mr. Pitchley sei hergekommen, weil er seiner Aussage von gestern Abend noch etwas hinzuzufügen hat«, erwiderte Leach. »Bisher tischt er uns hier aber nur Variationen zu einem Thema auf und reitet sich damit höchstens noch tiefer in den Schlamassel, in dem er bereits steckt.«
»Das ist nun wirklich völlig unzutreffend«, entgegnete Azoff pikiert.
»Finden Sie? Dann darf ich Sie vielleicht aufklären. Wenn ich recht gehört habe, hat Mr. Pitchley uns soeben informiert, dass es sein Hobby ist, über das Internet Frauen über fünfzig anzumachen und ins Bett zu lotsen. Er hat uns ferner mitgeteilt, dass er auf diesem Gebiet so stattliche Erfolge verzeichnen kann, dass er gar nicht mehr zählen kann, wie viele Frauen er mit seinen besonderen erotischen Talenten beglückt hat. Habe ich Recht, Mr. Pitchley?«
Pitchley setzte sich von einer Gesäßbacke auf die andere und trank von seinem Wasser. Sein mausbraunes Haar, zwei schwungvolle Wellen zu beiden Seiten des Mittelscheitels, fiel ihm ins Gesicht, als er nickte. Er hielt den Kopf gesenkt. Ob aus Verlegenheit, Bedauern oder um sich nicht in die Karten sehen zu lassen - wer konnte das sagen?
»Gut. Dann fahren wir fort. Also, in der Straße, in der Mr. Pitchley wohnt, in der Tat gar nicht weit von seiner Wohnung, wird eine ältere Frau überfahren. Zufällig hat diese Frau einen Zettel mit Mr. Pitchleys Adresse bei sich. Was würden Sie daraus schließen?«
»Gar nichts«, antwortete Azoff.
»Natürlich nicht. Aber meine Aufgabe ist es, Schlussfolgerungen zu ziehen. Und ich gelange zu dem Schluss, dass diese Dame auf dem Weg zu Mr. Pitchleys Wohnung war.«
»Wir haben mit keinem Wort bestätigt, dass Mr. Pitchley diese Frau erwartete oder auch nur kannte.«
»Und wenn sie tatsächlich auf dem Weg zu ihm war, dann hat Mr. Pitchley selbst uns einen prächtigen Grund für einen solchen Besuch genannt.« Leach beugte sich vor, um Pitchley stärker unter Druck zu setzen und ihm besser unter das herabhängende Haar sehen zu können. »Sie war ziemlich genau in dem Alter, in dem Sie sie mögen, Pitchley. Zweiundsechzig. Gut erhalten - soweit das noch feststellbar war. Geschieden. Nicht wieder verheiratet. Keine Kinder zu Hause. Es würde mich interessieren, ob sie sich einen Computer angeschafft hatte, um sich die einsamen Abende da draußen in Henley zu verkürzen ...«
»Das ist völlig ausgeschlossen«, erklärte Pitchley entschieden.
»Keine erfährt je, wo ich wohne. Sie haben keine Ahnung, wohin ich verschwinde, wenn wir - nachdem wir ... also, ich meine, wenn's vorbei ist.«
»Sie vögeln sie und hauen dann ab«, sagte Leach. »Klasse. Aber was ist, wenn einer der Damen dieses Arrangement nicht gepasst hat? Wenn sie Ihnen nach Hause gefolgt ist? Natürlich nicht gestern Abend, aber an irgendeinem anderen Abend. Sie ist Ihnen gefolgt, hat festgestellt, wo Sie wohnen, und dann, als Sie sich nie wieder gemeldet haben, nur auf den rechten Moment gewartet, um Sie zu stellen.«
»Unmöglich. Das geht gar nicht.«
»Wieso nicht?«
»Weil ich nie direkt nach Hause fahre. Ich fahre immer erst mindestens eine halbe Stunde kreuz und quer herum - manchmal auch eine ganze Stunde -, um ganz sicherzugehen ...« Er hielt inne und schaffte es, ein halbwegs verlegenes Gesicht wegen seines Geständnisses zu machen. »Ich fahre durch die Gegend, um dafür zu sorgen, dass mir keine am Auspuff hängt.«
»Sehr weise«, sagte Leach ironisch.
»Ich weiß, wie das klingt. Ich weiß, das hört sich an, als wär ich der letzte Dreck. Und wenn ich das bin, dann bin ich's eben. Aber ich bin jedenfalls keiner, der eine Frau totfährt, und das wissen Sie, verdammt noch mal, auch ganz genau, wenn Sie meinen Wagen untersucht haben und nicht stattdessen eine Spritztour mit ihm gemacht haben. Und ich möchte meinen Wagen jetzt gefälligst zurück haben, Inspector Leach.«
»Ach ja?«
»Ach ja! Ganz recht. Sie wollten was von mir wissen, und ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß. Ich habe Ihnen gesagt, wo ich gestern war, was ich gemacht habe
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