11 - Nie sollst Du vergessen
würde sie bei der Erkenntnis, dass es ihm ernst war, sogar einen Versuch machen, ihre Ängste zu bezwingen. Wie vor zwei Jahren. Und es würde heute so enden wie damals: in Panik und Tränen; mit einem Anruf wildfremder Leute bei der Polizei; mit Rettungswagen, Sanitätern und Polizei, die am Supermarkt angerückt waren, wohin sie sich im Taxi hatte bringen lassen, um zu beweisen, was sie gesagt hatte: »Ich schaffe es, Schatz.«
Wie damals würde ein Aufenthalt im Krankenhaus folgen, eine Zeit der Ruhigstellung, eine Intensivierung aller ihrer Ängste. Sie hatte sich gezwungen, aus dem Haus zu gehen, weil sie es ihm recht machen wollte. Es hatte damals nicht geklappt, es würde auch heute nicht klappen.
»Sie muss selbst wünschen, wieder gesund zu werden«, hatte der Psychiater ihm erklärt. »Ohne den eigenen Wunsch entsteht kein Druck. Und der innere Druck, der die Wiederherstellung der Gesundheit fordert, kann nicht künstlich erzeugt werden.«
Die Jahre verstrichen. Das Leben ging weiter, ihre Welt schrumpfte. Und die seine mit. Manchmal glaubte Webberly, er würde in der Enge dieser Welt ersticken.
Er blieb lange im Wasser liegen, er wusch sich das schütter werdende Haar. Als er fertig war und aus der Wanne stieg, umfing ihn die eisige Kälte des Badezimmers, da das Fenster immer noch weit offen stand und Morgenluft hereinließ.
Frances hatte Wort gehalten. Ein großes Frühstück erwartete ihn, als er in die Küche kam. Es duftete verlockend nach gebratenem Schinkenspeck, und Alfie saß neben dem Herd und beäugte hoffnungsvoll die Bratpfanne, aus der Frances die knusprigen Speckscheiben nahm. Doch der Tisch war nur für eine Person gedeckt.
»Isst du nichts?«, fragte Webberly seine Frau.
»Ich lebe, um dir zu dienen.« Sie gestikulierte mit der Bratpfanne. »Du brauchst es nur zu sagen, und du bekommst deine Frühstückseier, wie du sie haben willst. Ich richte mich ganz nach dir. In allem.«
»Ist das dein Ernst, Fran?« Er zog seinen Stuhl heraus.
»Gekocht, gerührt oder gebraten«, erklärte sie. »Ganz wie es dir beliebt.«
»Wie es mir beliebt.«
Er hatte keinen Appetit, aber er aß. Er kaute und schluckte, ohne viel zu schmecken. Nur die Säure des Orangensafts nahm er wahr.
Frances schwatzte. Ob er nicht auch fände, dass Randy ein bisschen zu füllig sei? Sie sage ja nicht gern etwas, aber ob er nicht auch der Meinung sei, das Kind hätte ein bisschen zu viel Babyspeck auf den Knochen für ein junges Mädchen ihres Alters? Und was er zu ihrem neuesten Plan sage, für ein Jahr in die Türkei zu gehen? Ausgerechnet in die Türkei. Aber sie habe ja ständig irgendwelche Rosinen im Kopf, da sei es wahrscheinlich völlig überflüssig, sich aufzuregen. Trotzdem, ein junges Mädchen ihres Alters ... ganz allein in der Türkei? Das sei doch unvernünftig, das könne nicht gut gehen. Als sie im vergangenen Jahr davon gesprochen habe, für ein Jahr nach Australien zu gehen, sei das schlimm genug gewesen - so weit weg von der Familie! Aber die Türkei? Nein. Das müssten sie ihr ausreden. Und habe Helen Lynley neulich Abend nicht hinreißend ausgesehen?
»Sie gehört zu den Frauen, die alles tragen können. Natürlich kommt es auch darauf an, wo man kauft. In französischen Modellen sieht man einfach - na ja, man sieht eben aus wie alter Adel, Malcolm. Und sie kann es sich ja leisten, französisch einzukaufen, nicht wahr? Kein Mensch achtet darauf, wo sie einkauft. Da hat sie's besser als unsere spießige alte Queen, die immer aussieht, als hätte ein englischer Polsterer sie ausstaffiert. Tja, es stimmt schon, Kleider machen Leute.«
Ein endloses Gebrabbel. Es ließ kein längeres Schweigen zu, das vielleicht zu einem schmerzhaften Gespräch geführt hätte. Und es vermittelte den Schein von Wärme und Nähe, das Bild vom alten Ehepaar im trauten Heim beim gemeinsamen Frühstück.
Webberly stieß abrupt seinen Stuhl zurück und druckte sich kurz die Papierserviette auf den Mund. »Komm, Alfie!«, sagte er, »gehen wir.« Er nahm die Leine vom Haken neben der Tür, und der Hund folgte ihm durchs Wohnzimmer zur Haustür hinaus.
Kaum im Freien, wurde Alfie quicklebendig. Schwanzwedelnd und mit gespitzten Ohren, lief er an der Seite seines Herrn die Straße hinunter zur Emlyn Road, ständig nach Katzen, seinen Erzfeinden, Ausschau haltend, um sie mit wütendem Gebell in die Flucht zu schlagen, sobald sie sich zeigten. An der Ecke Stamford und Brook Road setzte er sich gehorsam wie immer. Hier
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