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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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nur eines der Fenster im Haus den kleinsten Spalt offen gewesen wäre.
    Webberly versuchte, sich aufzurichten, und sank sogleich ächzend wieder auf sein Kopfkissen. Es war eine lange und eine schlimme Nacht gewesen. Alle Glieder taten ihm weh, aber quälender als der körperliche Schmerz war der seelische.
    »Ich hab dir einen schönen Earl Grey gebracht«, sagte Frances.
    »Mit Milch und Zucker. Aber Vorsicht, er ist sehr heiß.« Sie trat zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Das trübe Licht des Spätherbsts sickerte ins Zimmer. »Ein richtig grauer Tag heute«, fuhr sie fort. »Sieht nach Regen aus. Für später ist aus Westen Sturm angesagt. Na ja, was kann man vom November auch anderes erwarten!«
    Sich auf die Ellbogen stützend, schob sich Webberly unter der Bettdecke hervor und stellte fest, dass er auch in dieser Nacht wieder einen Pyjama durchgeschwitzt hatte. Er nahm die Tasse mit dem Tee und starrte in die dampfende Flüssigkeit. An der Farbe sah er, dass Frances den Tee nicht hatte ziehen lassen; er würde wie verwässerte Milch schmecken. Er trank schon seit Jahren morgens keinen Tee mehr; Kaffee war ihm lieber. Aber Frances trank immer Tee, und es war einfacher, nur das Wasser heiß zu machen und über die Teebeutel zu kippen, als die Umstände des Kaffeekochens auf sich zu nehmen.
    Na wenn schon, sagte er sich, am Ende läuft's doch auf das Gleiche hinaus. Hauptsache, der Körper bekommt sein Koffein. Also, trink aus und pack's an.
    »Ich habe den Einkaufszettel geschrieben«, bemerkte Frances.
    »Er liegt neben der Tür.«
    Er nahm es mit einem Brummen zur Kenntnis.
    Sie schien sein Brummen als eine Art des Protests aufzufassen und sagte nervös: »Es ist wirklich nicht viel, nur ein paar Sachen, die ausgegangen sind - Papiertücher, Küchenrolle und so was. Zu essen ist von der Party noch genug da. Es dauert bestimmt nicht lang.«
    »Schon in Ordnung, Fran«, sagte er. »Kein Problem. Ich erledige es auf dem Heimweg.«
    »Wenn etwas dazwischenkommen sollte, brauchst du natürlich nicht -«
    »Ich erledige es auf dem Heimweg.«
    »Aber nur, wenn es nicht zu viel Mühe macht, Schatz.«
    Wenn es nicht zu viel Mühe macht?, dachte Webberly ironisch und verabscheute sich sofort für seine Treulosigkeit. Trotzdem konnte er gegen die plötzliche Aufwallung des Zorns auf seine Frau nichts tun. Wenn es nicht zu viel Mühe macht, mich um alles und jedes zu kümmern, was einen Schritt aus dem Haus verlangt, Fran? Wenn es nicht zu viel Mühe macht, die Einkäufe zu erledigen, bei der Apotheke vorbeizugehen, die Sachen von der Reinigung zu holen, den Wagen zum Kundendienst zu bringen, den Garten zu versorgen, den Hund auszuführen, die ... Hör auf!, fuhr er sich selbst an. Fran hatte sich ihre Krankheit nicht ausgesucht. Es war, weiß Gott, nicht ihre Absicht, ihm das Leben zur Hölle zu machen; sie tat ihr Bestes, um mit der Situation fertig zu werden, genau wie er, und darum ging es ja im Leben - sich mit dem auseinander zu setzen, was einem aufgetischt wurde.
    »Es macht keine Mühe, Fran«, versicherte er und trank das fade Gebräu, das sie ihm gebracht hatte. »Danke für den Tee.«
    »Hoffentlich schmeckt er. Es ist doch mal was anderes. Ich wollte dich überraschen.«
    »Das ist lieb von dir«, sagte er.
    Er wusste, warum sie es getan hatte. Es war der gleiche Grund, der sie veranlassen würde, nach unten zu gehen, sobald er aufstand, und ihm ein Riesenfrühstück zu bereiten. Es war ihre einzige Möglichkeit, ihn dafür um Verzeihung zu bitten, dass sie wieder gescheitert war und es nicht geschafft hatte, zu tun, was sie vierundzwanzig Stunden zuvor angekündigt hatte. Aus ihrem Plan, im Garten zu arbeiten, war nichts geworden. Nicht einmal die Mauern, die das Grundstück umschlossen, vermochten ihr die Sicherheit zu geben, die sie gebraucht hätte, um das Haus zu verlassen. Möglich, dass sie es versucht hatte; dass sie eine Hand um den Türknauf gelegt - es wäre doch gelacht, wenn ich das nicht schaffe -, die Tür vorsichtig aufgezogen - ja, ich kann das! -, die frische Luft auf der Haut ihres Gesichts gespürt - es gibt nichts zu fürchten -  und sogar die freie Hand an den Türpfosten gedrückt hatte, bevor sie von Panik überwältigt worden war. Weiter war sie nicht gekommen, das wusste er, weil er - Gott verzeih ihm seinen Irrsinn! - sich ihre Gummistiefel angesehen hatte, den Rechen, die Gartenhandschuhe und sogar die Müllsäcke, um festzustellen, ob sie ihre irrationalen Ängste besiegt

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