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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gesehen, dass sie Sonia gezüchtigt hat, wenn sie ungehorsam war?«
    Nein, nie.
    »Hast du irgendwann einmal beobachtet, dass Katja grob mit Sonia umgegangen ist? Vielleicht hat sie sie geschüttelt, wenn sie nicht aufhörte zu weinen. Oder ihr einen Klaps auf den Po gegeben, wenn sie nicht gehorchte. Oder sie am Arm gezogen, um sie auf sich aufmerksam zu machen; oder am Bein gepackt, um sie hochzuziehen, wenn sie sie wickelte.«
    »Sosy hat oft geweint«, erzähle ich ihm. »Katja musste nachts aufstehen und nach ihr sehen. Sie hat deutsch mit ihr gesprochen -«
    »In zornigem Ton?«
    »- und manchmal hat sie selbst auch geweint. Ich konnte es in meinem Zimmer hören, und einmal bin ich aufgestanden und habe in den Korridor hinausgeschaut, und da habe ich gesehen, wie sie mit Sosy auf dem Arm hin und her gegangen ist. Sosy hat einfach nicht aufgehört zu weinen. Schließlich legte Katja sie wieder in ihr Bettchen. Sie schwenkte einen Spielzeugschlüsselbund aus Plastik über dem Bett, und ich hörte sie ›Bitte, bitte‹ sagen. Auf Deutsch. Und als Sosy trotzdem nicht zu weinen aufhörte, hat Katja das Gitter vom Bett gepackt und daran gerüttelt.«
    »Hast du das gesehen?« Der Polizeibeamte beugt sich über den Tisch zu mir. »Hast du gesehen, wie Katja das tat? Bist du sicher, mein Junge?«
    Irgendetwas in seinem Ton verrät mir, dass ich eine Antwort gegeben habe, die Anklang findet. Ich sage, ich sei ganz sicher: Sosy habe geweint, und Katja hat am Gitterbett gerüttelt.
    »Ich glaube, jetzt sind wir auf dem richtigen Weg«, sagt der Polizeibeamte.

12. Oktober
    Was von dem, das ein Kind erzählt, entspringt seiner Erinnerung, Dr. Rose? Was von dem, das ein Kind erzählt, entspringt seinen Träumen? Was von dem, das ich dort auf dem Polizeirevier dem Kriminalbeamten erzähle, entspringt tatsächlich Erlebtem? Was davon entspringt so unterschiedlichen Quellen wie der Spannung, die ich zwischen meinem Vater und dem Polizeibeamten wahrnehme, und meinem Wunsch, es beiden recht zu machen?
    Um aus dem Rütteln an einem Kinderbett das Schütteln eines kleinen Kindes zu machen, bedarf es nur eines Schritts. Und es bedarf nur eines Moments der Fantasie, damit man sich einbildet, man habe gesehen, wie beim Anziehen eines Mantels ein kleiner Arm verdreht, ein kleiner Körper grob in die Höhe gerissen wurde, wie ein rundes Gesichtchen zornig zusammengedrückt und gekniffen wurde, weil das Kind sein Essen ausgespien hatte, wie ein Kamm grob durch eine Strähne zerzausten Haars gezerrt wurde; kleine Beine ungeduldig in eine pinkfarbene Latzhose gestoßen wurden.
    Aha, sagen Sie. Ihr Ton ist völlig neutral, Sie sind gewissenhaft darauf bedacht, nicht zu bewerten, Dr. Rose. Aber sie heben die Hände, aneinander gelegt wie zum Gebet. Sie drücken sie unter das Kinn. Sie wenden Ihren Blick nicht ab, aber ich tue es.
    Ich sehe, was Sie denken. Ich denke das Gleiche. Auf Grund meiner Antworten auf die Fragen des Polizeibeamten wurde Katja Wolff verurteilt.
    Aber ich habe beim Prozess nicht ausgesagt, Dr. Rose. Wenn das, was ich der Polizei erzählte, so wichtig war, warum wurde ich dann nicht als Zeuge vor Gericht geladen? Eine Aussage, die nicht vor einem ordentlichen Gericht beeidet wird, ist nicht mehr wert als ein Artikel in irgendeinem Boulevardblatt: Es ist etwas, das man glauben oder auch nicht glauben kann und das weitere Nachforschungen durch professionelle Ermittler nahe legt.
    Wenn ich sagte, dass Katja Wolff meiner Schwester Leid zufügte, hätte das zu nicht mehr geführt, als dass man dieser Behauptung nachgegangen wäre und sie überprüft hätte. Oder stimmt das nicht? Und wenn es für meine Behauptung eine Bestätigung gab, dann wird die Polizei sie gefunden haben.
    So muss es gewesen sein, Dr. Rose.

15. Oktober
    Vielleicht habe ich es wirklich gesehen. Vielleicht wurde ich tatsächlich Zeuge dieser Geschehnisse, von denen ich behauptete, sie hätten sich zwischen meiner kleinen Schwester und ihrer Kinderfrau zugetragen. Wenn so viele Kammern meines Gedächtnisses leer sind, ist es dann nicht logisch zu vermuten, dass irgendwo im weiträumigen Bau meines Bewusstseins Bilder verborgen sind, die genau zu erinnern allzu schmerzhaft wäre?
    Eine rosarote Latzhose ist ein ziemlich genaues Bild, erwidern Sie. Es kommt entweder aus der Erinnerung, oder es ist Ausschmückung, Gideon.
    Wie sollte ich auf eine rosarote Latzhose kommen, wenn sie keine solche Latzhosen trug?
    Sie war ein kleines Mädchen, erwidern Sie mit

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