Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
sitzt wahrscheinlich in seinen Kleidern und seinem Haar. Es ist kein unangenehmer Geruch, aber ich bin ihn nicht gewöhnt und drücke mich, davor zurückschreckend, an meine Mutter.
    Er sagt: »Deine Mama hat Recht, mein Junge. Du brauchst keine Angst zu haben. Niemand wird dir etwas tun.« Während er spricht, drehe ich den Kopf und schaue zu meiner Mutter hinauf. Aber sie hält den Blick starr auf ihren Schoß gerichtet. In ihrem Schoß liegen unsere Hände, ihre Hand und meine, die sie zuvor ergriffen hat, um uns noch mehr miteinander zu verbinden: durch ihren Arm, der um meine Schultern liegt, durch unsere Hände. Sie drückt mir die Hand, aber sie sagt nichts zu den Worten des rotblonden Polizeibeamten.
    Der fragt mich, ob ich weiß, was meiner Schwester zugestoßen ist. Ich antworte, ich wisse, dass Sosy etwas Schlimmes passiert ist. Es waren ganz viele Menschen im Haus, berichte ich ihm, und dann haben sie sie ins Krankenhaus gebracht.
    »Deine Mama hat dir sicher schon gesagt, dass sie jetzt beim lieben Gott ist.«
    Und ich sage, Ja, Sosy ist beim lieben Gott.
    Er fragt mich, ob ich weiß, was das heißt, beim lieben Gott sein.
    Ich antworte ihm, dass es heißt, dass Sosy gestorben ist.
    »Weißt du, wie sie gestorben ist?«, fragt er.
    Ich lasse den Kopf sinken. Ich schlage mit den Fersen gegen das Sofa und sage, dass ich jetzt eigentlich drei Stunden Geige üben sollte, dass Raphael mir etwas aufgegeben hat - irgendein Allegro, glaube ich, war es -, und ich nur dann nächsten Monat Mr. Stern kennen lernen darf, wenn ich es richtig kann. Meine Mutter beugt sich vor und bringt meine Beine zur Ruhe. Ich solle versuchen, dem Inspector zu antworten, sagt sie.
    Ich weiß die Antwort. Ich habe das Poltern der vielen Menschen gehört, die die Treppe hinauf zum Badezimmer gelaufen sind. Ich habe die Schreie in der Nacht gehört. Ich habe auf die flüsternden Stimmen gehorcht. Ich bin mitten hineingeplatzt in heftige Fragen und Vorwürfe. Ich weiß, was meiner kleinen Schwester zugestoßen ist.
    In der Badewanne, sage ich. Sosy ist in der Badewanne gestorben.
    »Wo warst du denn, als Sosy starb?«, fragt er.
    Ich habe Musik gehört, antworte ich.
    An dieser Stelle schaltet meine Mutter sich ein und erklärt dem Polizeibeamten, dass ich auf Raphaels Anordnung mir zweimal täglich bestimmte Musikstücke anhören muss, weil ich nicht so gut spiele, wie ich eigentlich sollte.
    »Du bist also ein kleiner Fiedler?«, sagt der Polizeibeamte freundlich zu mir.
    »Ich bin Geiger, kein Fiedler«, gebe ich zur Antwort.
    »Ach so.« Der Polizeibeamte lächelt. »Geiger. Jetzt weiß ich Bescheid.« Er setzt sich bequemer hin, legt die Hände auf die Oberschenkel und sagt: »Deine Mama hat mir gesagt, mein Junge, dass sie und dein Dad dir noch nicht genau erklärt haben, wie deine kleine Schwester gestorben ist.«
    In der Badewanne, wiederhole ich. Sie ist in der Badewanne gestorben.
    »Das ist richtig. Aber es war kein Unfall, mein Junge. Jemand hat deiner kleinen Schwester wehgetan. Mit Absicht. Weißt du, was das bedeutet?«
    Ich denke sofort an Stöcke und Steine, und das sage ich auch. Jemandem wehtun bedeutet, mit Steinen nach ihm werfen, sage ich. Oder jemandem ein Bein stellen, damit er hinfällt, oder schlagen und kneifen und beißen. Ich sehe Sosy all diesen Quälereien ausgesetzt.
    Der Polizeibeamte sagt: »Ja, das ist eine Art, jemandem wehzutun. Aber es gibt noch eine andere Art, die Art, wie ein Erwachsener einem Kind wehtut. Weißt du, was ich meine?«
    Wenn man Schläge kriegt, sage ich.
    »Schlimmer.«
    An dieser Stelle tritt mein Vater ins Zimmer. Ist er gerade von der Arbeit nach Hause gekommen? War er überhaupt arbeiten? Wie lange nach Sonias Tod findet dieses Gespräch statt? Ich versuche, die Erinnerung in einen Zusammenhang zu bringen, aber ich kann nur sagen, wenn die Polizei noch dabei ist, der Familie Fragen über Sonias Tod zu stellen, dann muss es vor der Festnahme Katjas gewesen sein.
    Mein Vater sieht sofort, was los ist, und macht der Sache ein Ende. Daran erinnere ich mich. Und dass er wütend war, sowohl auf meine Mutter als auch auf den Polizeibeamten.
    »Was geht hier vor, Eugenie?«, sagt er scharf, während der Polizist aufsteht.
    »Der Inspector wollte Gideon ein paar Fragen stellen«, antwortet sie.
    »Warum?«
    »Jeder muss befragt werden, Mr. Davies«, erklärt der Polizeibeamte.
    Mein Vater entgegnet: »Sie vermuten doch nicht im Ernst, dass Gideon -«
    Meine Mutter ruft ihn beim Namen.

Weitere Kostenlose Bücher