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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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einem Achselzucken, das weniger wegwerfend als unverbindlich ist. Kleine Mädchen tragen häufig die Farbe Rosa.
    Sie wollen also sagen, dass ich gelogen habe, Dr. Rose? Dass ich ein Wunderkind und zugleich ein Lügner war?
    Das eine schließt das andere nicht aus, erwidern Sie.
    Die Bemerkung erschüttert mich, und Sie nehmen etwas davon in meinem Gesicht wahr - Schmerz, Entsetzen, Schuld?
    Ich sage nicht, dass Sie heute ein Lügner sind, Gideon. Aber vielleicht waren Sie damals einer. Vielleicht haben die Umstände Sie gezwungen zu lügen.
    Was für Umstände, Dr. Rose?
    Darauf haben Sie nur eine Antwort: Schreiben Sie nieder, woran Sie sich erinnern.

17. Oktober
    Libby entdeckte mich oben auf dem Primrose Hill. Ich stand vor der Metalltafel, mit deren Hilfe man die Gebäude und Sehenswürdigkeiten identifizieren kann, die man vom Gipfel aus sieht, und zwang mich, den Blick von dem gestochen scharfen Bild auf der Tafel auf das Panorama zu richten, um - von Osten nach Westen wandernd - jedes einzelne Bauwerk zu identifizieren. Aus dem Augenwinkel sah ich Libby den Fußweg heraufkommen. Sie hatte ihre schwarze Lederkluft an. Den Helm hatte sie nicht dabei, und der Wind peitschte ihr das lockige Haar ins Gesicht.
    »Ich hab deinen Wagen auf dem Platz stehen sehen«, sagte sie, »und dachte mir, dass ich dich hier finden würde. Ohne Drachen?«
    »Ohne Drachen.« Ich berührte das kühle Metall der Tafel und ließ meinen Finger auf dem eingravierten Abbild der Kuppel der St.-Pauls-Kathedrale liegen. Ich musterte die Stadtsilhouette.
    »Was ist los? Du siehst nicht gerade aus wie's blühende Leben. Ist dir kalt? Was tust du hier draußen ohne Pulli?«
    Ich suche Antworten, dachte ich.
    »Hey!«, sagte sie. »Jemand zu Hause? Falls du's noch nicht gemerkt hast, ich rede mit dir.«
    »Ich musste dringend ein Stück laufen«, erwiderte ich.
    »Du warst heute bei deiner Psychotante, stimmt's?«
    Ich hätte gern gesagt, dass ich auch dann bei Ihnen bin, wenn ich nicht bei Ihnen bin, Dr. Rose. Aber ich dachte, sie würde das missverstehen und die Bemerkung als ein Zeichen dafür halten, dass ich völlig auf Sie fixiert bin, was nicht der Fall ist.
    Sie trat auf die andere Seite der Tafel und stellte sich mir gegenüber, sodass mir die Aussicht auf die Stadt versperrt war. Sie griff über die Tafel und legte mir die Hand auf die Brust. »Was ist los, Gid? Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Die Berührung brachte mir wieder zu Bewusstsein, was alles nicht zwischen uns geschieht - was alles zwischen einer Frau und einem normalen Mann längst geschehen wäre -, und neben dem, was mich sowieso schon quälte, war die Belastung dieses Gedankens einfach zu viel.
    »Ich bin vielleicht dafür verantwortlich, dass ein Mensch ins Gefängnis gekommen ist«, sagte ich.
    »Was? Wieso?«
    Ich erzählte ihr den Rest der Geschichte.
    Als ich geendet hatte, sagte sie: »Du warst damals acht Jahre alt! Ein Bulle hat dich ausgefragt. Du hast versucht, aus einer schlimmen Situation das Beste zu machen. Und vielleicht hast du das ja wirklich alles gesehen. Darüber gibt's Untersuchungen, Gid, und die zeigen, dass Kinder nichts erfinden, wenn's um Missbrauch geht. Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Außerdem muss jemand bestätigt haben, was du gesagt hast, sonst hättest du auf jeden Fall vor Gericht aussagen müssen.«
    »Aber genau das ist doch der springende Punkt. Ich weiß nicht, ob ich ausgesagt habe oder nicht, Libby.«
    »Aber du hast doch erklärt -«
    »Ich habe gesagt, dass ich mich an den Polizeibeamten, die Fragen und das Revier erinnern kann - alles Bestandteile einer Situation, die ich völlig verdrängt hatte. Wer sagt mir, dass ich einen Auftritt bei Katja Wolffs Prozess nicht ebenfalls verdrängt habe?«
    »Ach so. Ja. Ich verstehe.« Sie sah das Stadtpanorama an und hielt mit den Händen ihr flatterndes Haar fest, während sie auf der Unterlippe kauend über meine Worte nachdachte. Schließlich meinte sie: »Okay. Dann versuchen wir, doch mal rauszukriegen, was wirklich abgelaufen ist.«
    »Und wie?«
    »Na, so schwer kann's doch nicht sein, Einzelheiten über einen Prozess rauszukriegen, über den wahrscheinlich alle Zeitungen im ganzen Land berichtet haben.«

19. Oktober
    Wir begannen unsere Nachforschungen bei Bertram Cresswell-White, der bei dem Prozess gegen Katja Wolff die Krone vertreten hatte. Ihn ausfindig zu machen war, wie Libby prophezeit hatte, kein Problem. Er hatte seine Kanzlei in den Paper Buildings, die zum

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