11 - Nie sollst Du vergessen
falsch spielen und so tun, als merkte er nicht, was der Hund sich so dringend wünschte. »Na schön, dann komm«, sagte er. »Aber nur ein paar Minuten. Frauchen ist allein im Haus und wird Angst bekommen, wenn sie aufwacht und sieht, dass wir beide nicht da sind.«
Sie warteten auf Grün, der Hund mit wedelndem Schwanz und Webberly etwas heiterer angesichts der Freude des Hundes. Wie einfach, ein Hund zu sein, dachte er, wie wenig brauchte er zur Zufriedenheit.
Sie überquerten die Straße und traten durch das Tor in den Park. Sobald es rostknirschend hinter ihnen zugefallen war, machte Webberly den Hund von der Leine los und beobachtete ihn im trüben Licht der Straßenbeleuchtung, wie er ausgelassen über den Rasen sprang.
Er hatte den Ball nicht mitgenommen, aber das schien Alfie nicht zu stören. Es gab genug nächtliche Gerüche, die ihm den Abendspaziergang interessant und spannend machten.
Sie blieben ungefähr eine Viertelstunde, während der Webberly gemächlich von der West- zur Ostseite des Parks marschierte. Der Wind, der schon früher am Tag aufgekommen war, war kalt, und Webberly schob seine Hände in die Taschen und bedauerte es, dass er nicht daran gedacht hatte, Handschuhe und Schal mitzunehmen.
Fröstelnd ging er den Ascheweg entlang, der von Rasenflächen begrenzt war. Jenseits des Gebüschs und des Eisengitters brausten die Autos auf der Stamford Brook Road vorbei. Der Verkehrslärm war neben dem Knarren der kahlen Bäume das einzige Geräusch in der Nacht.
Am anderen Ende des Parks blieb er stehen und rief dem Hund, der schon wieder in großen Sprüngen zur anderen Seite der Grünfläche gejagt war. Er pfiff und wartete ruhig, während das Tier ein letztes Mal über den Rasen rannte und schließlich vor ihm Halt machte, das Fell feucht und voll nassen Laubs. Webberly lachte leise. Da würde noch einiges auf ihn zukommen. Sobald er zu Hause war, würde er den Hund gründlich bürsten müssen.
Er legte ihm die Leine wieder an. Vom Parktor aus gingen sie die Allee hinauf zur Stamford Brook Road, wo es einen Zebrastreifen für Fußgänger zur Hartswood Road gab. Hier hatten sie den Vortritt. Aber Alfie tat brav, was er gelernt hatte: Er setzte sich und wartete auf das Kommando seines Herrn.
Webberly passte eine Verkehrslücke ab, die dank der späten Stunde nicht lange auf sich warten ließ. Sie ließen noch einen Bus vorbeifahren, dann traten Herr und Hund auf die Fahrbahn. Bis zur anderen Seite waren es keine dreißig Meter.
Webberly war auf der Straße vorsichtig, aber einen Augenblick lang richtete sich seine Aufmerksamkeit auf die andere Straßenseite zu dem Briefkasten, der dort schon seit Königin Victorias Zeiten stand. In diesen Kasten hatte er die Briefe geworfen, die er Eugenie über die Jahre geschrieben hatte, auch den letzten, der ihre Beziehung beendet hatte, ohne sie zu beenden. Den Blick auf den roten Kasten gerichtet, sah er sich selbst, wie er an hundert Morgen dort hastig einen Brief in den Schlitz geschoben und dabei über die Schulter zurückgeschaut hatte, als fürchtete er, Frances könnte ihn verfolgt haben. Als er sich so sah, von Liebe und Begehren getrieben, das Gelübde zu brechen, das das Unmögliche von ihm forderte, achtete er nicht auf die Straße. Es war nur eine Sekunde der Unachtsamkeit, aber mehr war nicht nötig.
Rechts von sich hörte er einen Motor aufheulen. Im selben Moment begann Alfie zu bellen. Dann kam der Aufprall. Die Hundeleine peitschte durch die Luft, und Webberly wurde gegen den Briefkasten geschleudert, der seine Beteuerungen ewiger Liebe aufgenommen hatte.
Ein Schlag traf ihn gegen die Brust.
Ein Lichtblitz bohrte sich in seine Augen.
Dann wurde es dunkel.
GIDEON
23. Oktober, 1 Uhr nachts
Ich habe wieder geträumt und bin mit der Erinnerung an den Traum erwacht. Jetzt sitze ich mit dem Heft auf den Knien im Bett, um ihn aufzuschreiben.
Ich bin in unserem Haus am Kensington Square im Wohnzimmer. Ich sehe den Kindern zu, die draußen in der Grünanlage spielen, und sie bemerken, dass ich sie beobachte. Sie winken und bedeuten mir, zu ihnen hinauszukommen. Ein Zauberer in einem schwarzen Cape und mit einem Zylinder gibt eine Vorstellung. Er zieht den Kindern lebende weiße Tauben aus den Ohren und wirft die Vögel hoch in die Luft. Ich möchte dabei sein, möchte, dass der Zauberer mir eine Taube aus dem Ohr holt, und ich laufe zur Wohnzimmertür. Aber sie hat keine Klinke, nur ein Schlüsselloch, durch das man ins Vestibül mit der
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