11 - Nie sollst Du vergessen
Vorstellung von gemeinsamem Eigentum, der Sicherung eines nachweisbaren Stammbaums für die Kinder und auf einem beiderseitigen Interesse am Beischlaf gründete. Im Rahmen dieses Vertrags sollten ein Mann und eine Frau zusammenleben, wenn möglich Kinder zeugen und einander ein Leben bereiten, das für beide gleichermaßen zufrieden stellend war. Aber nirgends stand geschrieben oder war auch nur angedeutet, dass der eine des anderen gefesselte Seele freisetzen und beflügeln sollte. Und das, meinte er, war das Problem mit der Ehe. Sie verleitete die Partner zu Selbstzufriedenheit, und daraus entstand ein Zustand, in dem Mann und Frau sich selbst und den anderen aus dem Auge verloren.
So war es in seiner Gemeinschaft mit Frances gewesen. So, schwor er sich, würde es in seiner Seelengemeinschaft mit Eugenie niemals werden.
Immer weiter schritt er auf dem Weg der Selbsttäuschung voran, während die Zeit verging und er die Beziehung zu Eugenie fortsetzte. Der Beruf, den er gewählt hatte, war wie geschaffen, ihn in seinem treulosen Tun zu unterstützen, auf das er bald ein gottgegebenes Recht zu haben glaubte. Unregelmäßige Arbeitszeiten, Überstunden, ganze Wochenenden, die der Ermittlungsarbeit geopfert werden mussten, unvorhergesehene Abwesenheiten von zu Hause, das alles war von Anfang an sein täglich Brot gewesen. Weshalb sollte Gott oder das Schicksal oder der Zufall ihn auf diesen Weg geführt haben, wenn nicht, um ihm Gelegenheit zu geben, sich menschlich weiterzuentwickeln und zu wachsen? Auf diese Weise legitimierte er die Fortsetzung der heimlichen Beziehung, spielte für sich selbst den Mephisto, der lockte und beschwatzte. Dass es so einfach war, ein Doppelleben zu führen, indem er bei seinen Abwesenheiten von zu Hause die Forderungen der Arbeit vorschob, brachte ihn allmählich zu der Überzeugung, dass ihm ein solches Doppelleben zustand.
Aber des Menschen Verderben ist seine ewige Unzufriedenheit. Immer will er mehr. Und der Wunsch nach mehr hatte schließlich auch diese Seelenliebe verdorben und ins Fleischliche hinabgezogen, ohne dass sie dadurch etwas von ihrer Unwiderstehlichkeit verloren hatte. Eugenie hatte ihre Ehe beendet. Er könnte die seine doch auch beenden. Ein, zwei unangenehme Auseinandersetzungen mit seiner Frau, und er wäre frei.
Aber zu diesen Auseinandersetzungen mit Frances war es nie gekommen. Stattdessen hatte er sich mit ihren Phobien auseinander setzen müssen und dabei entdeckt, dass er und seine Liebe und alle rechtschaffenen Gründe zur Verteidigung dieser Liebe nicht gegen das Leiden ankamen, das seine Frau und letztlich sie beide in den Klauen hielt.
Er hatte es Eugenie nie gesagt. Er schrieb ihr einen letzten Brief, in dem er sie zu warten bat, und schrieb nie wieder. Er rief sie nicht an. Er sprach nicht mit ihr. Er führte ein Leben in der Warteschleife und begründete es damit, dass er es Frances schulde, sie auf dem Weg zur Genesung zu begleiten und den Zeitpunkt abzuwarten, wo sie so weit wiederhergestellt wäre, dass er es ihr zumuten konnte, einer Trennung ins Auge zu sehen.
Als er endlich begriffen hatte, dass die Krankheit seiner Frau nicht so leicht zu besiegen war, waren allzu viele Monate ins Land gezogen. Der Gedanke, Eugenie nur wiederzusehen, um sich endgültig von ihr zu trennen, war ihm unerträglich. Feigheit lahmte die Hand, die sonst vielleicht zu Stift oder Telefon gegriffen hätte. Einfacher, sich einzureden, diese so genannte Beziehung wäre im Grunde nicht mehr gewesen als eine sich über einige Jahre erstreckende Folge kurzer leidenschaftlicher Episoden, von ihnen zu liebender Gemeinschaft hochstilisiert, als ihr mit der Gewissheit gegenüberzutreten, dass er sie gehen lassen musste, und sich klar zu machen, dass seinem Leben der Sinn versagt bleiben würde, den er ihm so gern geben wollte. Er hatte also die Dinge einfach treiben lassen und gar nichts getan. Sollte sie von ihm denken, was sie wollte.
Sie hatte sich nicht bei ihm gemeldet, und er hatte das als klares Zeichen dafür genommen, dass weder die Beziehung noch deren erzwungenes Ende sie so tief berührte wie ihn. In diesem Bewusstsein ging er daran, ihr Bild aus seinen Gedanken zu löschen und ebenso alle Erinnerung an gemeinsam verbrachte Zeit. Indem er das tat, war er ihr genauso untreu wie seiner Frau. Und er hatte dafür bezahlt.
Aber sie hatte einen Mann gefunden, der frei war, sie zu lieben und ihr das zu sein, was sie verdiente. »Ein Witwer namens Wiley«, hatte Lynley
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