11 - Nie sollst Du vergessen
an, was in ihnen zur Schau gestellt war: alte Puppen aller Arten und Größen, von der Babypuppe bis zur Teepuppe, alle in historische Kostüme gekleidet, vielleicht der Zeit entsprechend, in der sie hergestellt worden waren. Ich verstehe nichts von Puppen und wusste daher nicht, was ich vor mir hatte, aber ich konnte immerhin erkennen, dass es sich um eine beeindruckende Sammlung handelte, sowohl der Zahl als auch der Qualität und dem Zustand der Puppen nach. Einige von ihnen sahen aus, als hätte sie nie ein Kind in der Hand gehalten, und ich fragte mich, ob Sarah-Janes Töchter oder Stieftöchter manchmal vor diesen Vitrinen gestanden und sehnsüchtig die Puppen angestarrt hatten, die sie nicht anfassen durften.
Dann bemerkte ich, dass an den Wänden des Zimmers zahlreiche Aquarelle hingen, alle, wie es schien, von derselben Hand gemalt: Darstellungen von Häusern, Brücken, Schlössern, Autos und sogar Bussen. Ich suchte die Signatur in der rechten unteren Bildecke. S.J. Beckett stand da in geschwungenen Schriftzügen. Ich trat ein paar Schritte zurück, um die Bilder genauer zu betrachten. Ich konnte mich nicht erinnern, dass Sarah-Jane gemalt hatte, als sie meine Lehrerin gewesen war. Diese Arbeiten zeigten ein gewisses Talent für Detailgenauigkeit, aber das Vertrauen in den malerischen Schwung fehlte.
»Ah, Sie haben mein Geheimnis entdeckt.« Sie war an der Tür stehen geblieben, in beiden Händen trug sie ein großes Tablett, auf dem ein verschnörkeltes silbernes Kaffeeservice, Tassen aus feinem Porzellan und eine Schale mit Ingwerkeksen standen, die sie, wie sie in vertraulichem Ton mitteilte, »heute Morgen frisch gebacken« hatte. Aus irgendeinem Grund fragte ich mich, wie Libby auf dies alles reagiert hätte: die Puppen, die Aquarelle, das Kaffeeservice, auf diese Frau und vor allem auf das, was sie bisher gesagt und geflissentlich verschwiegen hatte.
»Bei Menschen habe ich leider gar keine glückliche Hand«, sagte sie. »Genauso bei Tieren. Bei allem Lebendigen eigentlich. Die einzige Ausnahme sind Bäume. Die kann ich malen. Blumen allerdings - unmöglich.«
Im ersten Moment wusste ich nicht, wovon sie sprach. Dann aber begriff ich, dass ihre Worte sich auf ihre Malerei bezogen, und machte eine angemessene Bemerkung über die Qualität ihrer Arbeit.
»Sie Schmeichler!«, schalt sie lachend.
Sie stellte das Tablett auf einen niedrigen Tisch und schenkte ein. »Ich war ein bisschen arg sarkastisch, als wir von Katjas modischem Geschmack sprachen«, bemerkte sie. »Ich habe manchmal so eine Art. Sie müssen mir das nachsehen. Ich bin viel allein - Perry ist ja häufig auf Reisen, wie ich schon sagte, und die Mädchen sind natürlich in der Schule -, da vergesse ich leicht, meine Zunge im Zaum zu halten, wenn dann tatsächlich einmal jemand zu Besuch kommt. Eigentlich hätte ich sagen sollen, dass sie von Mode und Design keine Ahnung hatte; sie war ja in Ostdeutschland aufgewachsen. Ich meine, was konnte man von jemandem aus dem Ostblock erwarten? Haute couture? Es war darum eigentlich umso bewundernswerter, dass sie fest entschlossen war, auf die Modeschule zu gehen. Aber es war eben ein Unglück - eine Tragödie, sollte man sagen -, dass sie mitsamt ihren Träumen und ihrer Unerfahrenheit in der Kinderpflege im Haus Ihrer Eltern landete. Die Kombination war tödlich. Milch? Zucker?«
Ich nahm die dargebotene Tasse. Nicht bereit, mich in eine Erörterung über Katja Wolffs modischen Geschmack ziehen zu lassen, sagte ich: »Wusste mein Vater, dass sie in ihrer Arbeit nachlässig war?«
Sarah-Jane rührte ihren Kaffee um, obwohl sie nichts hineingegeben hatte, was umgerührt hätte werden müssen. »Das hat ihm Ihre Mutter zweifellos gesagt.«
»Aber Sie nicht?«
»Nachdem ich einen Elternteil darauf aufmerksam gemacht hatte, hielt ich es nicht für notwendig, auch noch mit dem anderen darüber zu sprechen. Und Ihre Mutter war häufiger im Haus, Gideon. Ihr Vater war selten da, er arbeitete ja fast immer Doppelschichten. Daran erinnern Sie sich doch sicher. Nehmen Sie einen Keks? Haben Sie immer noch so eine Schwäche für Süßigkeiten? Ach, merkwürdig! Eben ist mir eingefallen, dass Katja ganz versessen auf Süßigkeiten war. Vor allem auf Pralinen.
Tja, das ist wahrscheinlich auch eine Folge des Lebens in einem Ostblockstaat. Die täglichen Entbehrungen.«
»Worauf war sie sonst noch versessen?«
»Worauf sie sonst noch ...?« Sarah-Jane schien perplex.
»Ich weiß, dass sie schwanger
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