11 - Nie sollst Du vergessen
Proben. Ich war jedes Mal ein Nervenbündel, meine Eingeweide tobten, der Kopf hämmerte zum Zerspringen, und mir war so übel, dass ich mindestens eine Stunde über der Toilette hing. All das, auch wenn kein öffentlicher Auftritt bevorstand.
Und wie war es an dem Abend in der Wigmore Hall?, fragen Sie. Hatten Sie da vor Ihrem Auftritt die gleichen Probleme?
Und ich zögere.
In Ihren Augen blitzt Interesse auf. Sie versuchen, mein Zögern zu deuten, und überlegen, ob Sie jetzt nachhaken oder lieber warten sollen, bis die Erkenntnisse und Geständnisse von selbst aus mir hervorsprudeln.
Denn ich habe vor diesem Auftritt tatsächlich nicht gelitten.
Und ich habe bis zu diesem Moment nicht über diese Tatsache nachgedacht.
26. Oktober
Ich war in Cheltenham. Sarah-Jane Beckett heißt jetzt Sarah-Jane Hamilton, seit zwölf Jahren schon. Körperlich hat sie sich seit der Zeit, als sie meine Lehrerin war, kaum verändert: Sie hat ein wenig an Gewicht zugelegt, aber der Busen ist immer noch flach und ihr Haar so rot wie damals, als sie noch bei uns lebte. Sie trägt es jetzt anders - mit einem Haarband aus dem Gesicht gehalten -, aber es ist so glatt wie immer.
Eine Veränderung jedoch fiel mir augenblicklich an ihr auf. Sie kleidete sich anders. Sie hat sich offenbar von dem Stil abgewandt, den sie bevorzugte, als sie noch bei uns lebte - Kleider mit üppigen Kragen und Spitzenbesatz, wenn ich mich recht erinnere -, und hat den Aufstieg zu Twinset und Perlenkette geschafft. Die zweite Veränderung, die ich an ihr bemerkte, betrifft ihre Hände. Früher hatte sie immer bis zum Fleisch abgebissene Fingernägel, jetzt sind die Nägel lang und gepflegt und rot lackiert, damit der protzige Ring mit den Saphiren und Brillanten besser zur Geltung kommt. Die Fingernägel fielen mir vor allem deshalb auf, weil sie im Gespräch ständig mit den Händen gestikulierte, als wollte sie mir zeigen, wie reich sie mit weltlichen Gütern gesegnet ist.
Der Beschaffer der weltlichen Güter war nicht zu Hause, als ich kam. Sarah-Jane war vorn im Garten des Hauses - das in einem sehr eleganten Viertel steht, wo man offensichtlich bevorzugt Mercedes und Range Rover fährt - und füllte, auf einer dreistufigen Trittleiter stehend, gerade einen riesigen Futtertrog für Vögel mit Körnern auf. Da ich sie nicht erschrecken wollte, wartete ich schweigend, bis sie von der Leiter heruntergestiegen war und sich, nachdem sie ihr Twinset glatt gezogen hatte, auf die Brust klopfte, um sich zu vergewissern, dass die Perlenkette noch da war. Erst dann rief ich ihren Namen, und nachdem sie mich überrascht und erfreut begrüßt hatte, klärte sie mich darüber auf, dass Perry - Ehemann und großzügiger Versorger - geschäftlich in Manchester war und sehr enttäuscht wäre, wenn er bei seiner Heimkehr erführe, dass er meinen Besuch verpasst hatte.
»Er hat ja im Lauf der Jahre ständig von Ihnen gehört«, sagte sie. »Aber wahrscheinlich hat er nie geglaubt, dass ich Sie tatsächlich kenne.« Sie begleitete ihre Worte mit einem trällernden kleinen Lachen, das mir ausgesprochen unangenehm war, obwohl ich nicht sagen könnte, warum, außer dass Gelächter dieser Art stets unecht klingt.
»Kommen Sie herein«, sagte sie. »Bitte, kommen Sie. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten? Tee? Oder einen Drink?«
Sie ging mir voraus ins Haus, das so geschmackvoll eingerichtet war, wie dies nur ein Innenarchitekt fertig gebracht haben konnte: genau die richtigen Möbel, genau die richtigen Farben, genau die richtigen Objekte, sanfte Beleuchtung, die schmeichelte, und die kleine persönliche Note bei der sorgfältigen Auswahl von Familienfotos.
Eines dieser Bilder ergriff sie auf dem Weg zur Küche und hielt es mir hin. »Perry«, sagte sie. »Unsere Töchter und seine beiden Töchter aus erster Ehe. Sie sind die meiste Zeit bei ihrer Mutter und verbringen nur jedes zweite Wochenende bei uns. Und die halben Ferien. Die moderne britische Familie eben.« Wieder das trällernde Lachen, dann verschwand sie durch eine Schwingtür, hinter der sich, so vermutete ich, die Küche befand.
Während ihrer Abwesenheit sah ich mir die Atelieraufnahme der Familie an. Perry thronte in der Mitte und war von fünf Frauen umgeben: Neben ihm saß seine Frau, seine beiden älteren Töchter standen hinter ihm, jede eine Hand auf seinen Schultern, ein kleineres Mädchen stand an Sarah-Jane gelehnt, und die letzte, noch kleiner, saß auf Perrys Knie. Sein Gesicht zeigte
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