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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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lahmte mich, sondern das, was ich vor mir sah, das Bild, das ich unglaublicherweise bis zu diesem Moment nicht hatte einordnen können, obwohl ich in der Vergangenheit unzählige Male in der Wigmore Hall gespielt hatte.
    Ich sah die blaue Tür, Dr. Rose. Ja, die blaue Tür, deren Bild gelegentlich in meinen Erinnerungen und Träumen aufgeblitzt ist. Sie befindet sich am Ende einer Treppe mit zehn Stufen, gleich neben dem Künstlereingang der Wigmore Hall.

1. November, 22 Uhr
    Sie stimmt in allen Einzelheiten mit der Tür überein, deren Bild ich gesehen habe: leuchtend blau, so blau wie ein Sommerhimmel in den Highlands. Sie hat zwei Sicherheitsschlösser und in der Mitte einen silbernen Ring. Über ihr ist ein fächerförmiges Oberlicht, unter dem zentral über der Tür eine Lampe angebracht ist. Die Treppe hat ein Geländer in der gleichen Farbe wie die Tür - in diesem klaren, leuchtenden, unvergesslichen Blau, das ich dennoch vergessen hatte.
    Die Tür schien zu einer Wohnung zu führen. Neben ihr waren Fenster mit Vorhängen, und von meinem Standort unten im Welbeck Way aus konnte ich erkennen, dass hoch an den Wänden Bilder hingen. Eine Erregung packte mich wie seit Monaten - vielleicht seit Jahren - nicht mehr, als mir klar wurde, dass hinter dieser Tür möglicherweise die Erklärung für das lag, was mir widerfahren war, der Ursprung meiner Qual und die Erlösung.
    Ich riss mich von meinem Vater los und rannte diese Treppe hinauf. Genau so, wie Sie mir rieten, es in der Phantasie zu tun, Dr. Rose, versuchte ich, die Tür zu öffnen, obwohl ich gleich sah, dass sie von außen nur mit einem Schlüssel zu öffnen war. Ich klopfte. Ich trommelte dagegen.
    Und mit einem Schlag waren alle meine Hoffnungen dahin. Die Tür wurde von einer Chinesin geöffnet. Sie war so klein, dass ich im ersten Moment glaubte, ein Kind vor mir zu haben. Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, sie trüge Handschuhe, bis ich erkannte, dass ihre Hände mit Mehl bestäubt waren. Ich hatte die Frau nie zuvor gesehen.
    »Ja?«, fragte sie höflich. Als ich nichts sagte, schweifte ihr Blick zu meinem Vater hinunter, der am Fuß der Treppe auf mich wartete. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, fragte sie und bewegte sich, während sie sprach, vorsichtig zur Seite, so dass sie hinter der Tür zu stehen kam.
    Ich hatte keine Ahnung, wonach ich fragen sollte. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Bedeutung ihre Wohnungstür für mich hatte. Ich hatte keine Ahnung, wieso ich mit solcher Zuversicht diese Treppe hinaufgelaufen war, so sicher, vor dem Ende meiner Schwierigkeiten zu stehen.
    »Entschuldigen Sie vielmals«, sagte ich schließlich. »Ein Irrtum.« Und trotzdem, obwohl ich wusste, dass es sinnlos war, fügte ich hinzu: »Leben Sie allein hier?«
    Natürlich war mir im selben Augenblick klar, dass das die falsche Frage war. Welche Frau, die auch nur einen Funken Verstand besitzt, wird einem unbekannten Mann an ihrer Tür verraten, ob sie allein lebt? Doch noch ehe sie auf meine Frage überhaupt antworten konnte, hörte ich von drinnen die Stimme eines Mannes. »Wer ist da, Sylvia?«, fragte er, und ich hatte meine Antwort.
    Unmittelbar nach seiner Frage zog der Mann die Tür ein Stück weiter auf und schaute zu mir heraus. Ich kannte ihn so wenig wie Sylvia - ein massiger, kahlköpfiger Mensch mit Händen wie Wagenräder.
    »Es tut mir Leid. Ich habe mich in der Adresse geirrt«, sagte ich.
    »Zu wem wollten Sie denn?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich.
    Wie Sylvia blickte er von mir zu meinem Vater hinunter. »Na, so wie Sie eben an die Tür gedonnert haben, klang das aber anders«, sagte er.
    »Ja. Ich dachte ...« Was hatte ich überhaupt gedacht? Dass ich endlich Klarheit erhalten würde? Wahrscheinlich.
    Aber am Welbeck Way gab es keine Klarheit für mich. Und als ich später, nachdem die blaue Tür sich wieder geschlossen hatte, zu meinem Vater sagte: »Das ist ein Teil der Antwort. Ich schwöre es!«, entgegnete er wütend: »Blödsinn! Du weißt ja nicht mal die gottverdammte Frage.«

18
    »Lynn Davies?« Barbara Havers zeigte der Frau, die ihr auf ihr Klingeln geöffnet hatte, ihren Ausweis.
    Das gelbe Haus stand am Ende einer Zeile von Reihenhäusern in der Therapia Road, eine umgebaute viktorianische Villa in einem Teil von East Dulwich, der sich, wie Barbara entdeckt hatte, durch das Vorhandensein zweier Friedhöfe, eines öffentlichen Parks und eines Golfplatzes auszeichnete.
    »Ja«, antwortete

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