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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Können Sie mir helfen?
    Machten Psychiater Hausbesuche? Waren sie überhaupt bereit, es ernst zu nehmen, wenn ein Freund eines Patienten anrief und sagte, da laufe was aus dem Ruder? Oder waren sie in so einem Fall eher der Meinung, der Freund gehöre als Nächster auf die Couch? Scheiße. Mist. Was sollte sie tun? Richard würde sie jedenfalls bestimmt nicht anrufen. Von dem war nichts Gutes zu erwarten.
    Gideon hatte unterdessen sämtliche Schubladen ausgeleert und den ganzen Krempel mit aller Gründlichkeit durchgesehen. Das Einzige, was er sich noch nicht vorgenommen hatte, war ein Briefhalter auf dem Schreibtisch, den er sich aus irgendeinem bizarren Grund - aber wer zählte die jetzt noch? - bis zum Schluss aufgehoben hatte. Einen nach dem anderen öffnete er die Briefumschläge und warf sie zu Boden, nachdem er sich ihren Inhalt angesehen hatte. Aber beim fünften Kuvert hielt er inne und begann zu lesen. Libby konnte erkennen, dass es sich um eine Grußkarte handelte, mit einem Blumenbild vorn und einer gedruckten Botschaft sowie einigen Zeilen handgeschriebenen Texts innen. Seine Hand sank schwer herab, als er die Worte gelesen hatte.
    Er hat's gefunden, dachte sie und ging zu ihm. »Was ist es? Hat sie wirklich an deinen Dad geschrieben?«
    Er sagte: »Virginia.«
    »Was? Wer? Wer ist Virginia?«
    Seine Schultern bebten, und er hielt die Karte in seiner Faust wie in einem Würgegriff. »Virginia«, sagte er wieder. »Virginia! Strafe ihn Gott! Er hat mich belogen.« Er begann zu weinen, nein, er schluchzte. Sein Körper wurde von heftigen Zuckungen geschüttelt, während er schluckte und würgte, als wollte alles aus ihm heraus: der Inhalt seines Magens, seine Gedanken und seine Gefühle.
    Vorsichtig griff Libby nach der Karte. Er ließ sie sich aus der Hand nehmen, und sie überflog das Geschriebene auf der Suche nach den Worten, die Gideon zu dieser heftigen Reaktion veranlasst hatten.
    Lieber Richard, stand da, danke dir vielmals für die Blumen. Es war keine große Feier, aber ich habe versucht, sie so zu gestalten, dass sie Virginia gefallen hätte. Ich habe überall in der Kapelle ihre Fingerfarbengemälde aufgehängt und ihr ihre Lieblingsspielsachen rund um den Sarg gelegt.
    Unsere Tochter war auf ihre eigene Art ein Wunderkind. Nicht nur weil sie den medizinischen Vorhersagen zum Trotz zweiunddreißig Jahre alt wurde, sondern auch weil sie jedem, der mit ihr in Berührung kam, so vieles geben konnte. Ich denke, du wärst stolz gewesen, ihr Vater zu sein, wenn du sie gekannt hättest, Richard. Trotz ihren Problemen besaß sie deine Beharrlichkeit und deinen Kampfgeist, keine geringen Gaben an ein Kind.
    Herzlichst, Lynn.
    Libby las das Schreiben noch einmal und verstand. Sie besaß deine Beharrlichkeit und deinen Kampfgeist, keine geringen Gaben an ein Kind. Virginia, dachte sie. Auch Richards Kind. Gideon hatte noch eine Schwester, und auch die war tot.
    Sie sah Gideon an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Er hatte in den vergangenen Tagen so viele Schläge einstecken müssen, und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn trösten sollte.
    Zaghaft sagte sie: »Du hast nichts von ihr gewusst, Gid?«, und sagte noch einmal: »Gideon?«, als er nicht antwortete. Behutsam berührte sie seine Schulter. Er bewegte sich nicht, aber er zitterte am ganzen Körper.
    »Tot«, sagte er schließlich.
    »Ja«, antwortete sie. »Das habe ich gelesen. Lynn muss - na ja, sie spricht von ›unserer Tochter‹, also war sie offensichtlich die Mutter. Das heißt, dass dein Dad früher schon mal verheiratet war und du eine Stiefschwester hattest. Hast du das nicht gewusst?«
    Er nahm ihr die Karte wieder ab, stemmte sich aus dem Schreibtischsessel, schob die Karte ungeschickt wieder in den Umschlag und steckte diesen in seine hintere Hosentasche. Mit einer Stimme, die so leise war, als spräche er in Hypnose, sagte er:
    »Er belügt mich ständig. Das war immer so. Und er lügt auch jetzt.«
    Wie blind watete er durch den Müll, den er auf dem Fußboden hinterlassen hatte, und Libby, die ihm folgte, sagte: »Vielleicht hat er gar nicht gelogen.« Sie sagte es nicht, um Richard Davies zu verteidigen - dieser Mensch hätte wahrscheinlich das Blaue vom Himmel gelogen, um zu erreichen, was er wollte -, sondern weil sie es so schrecklich fand, dass Gideon nun auch noch das zugemutet wurde. »Ich meine, wenn er dir nicht von Virginia erzählt hat, muss das ja nicht unbedingt eine bewusste Lüge gewesen sein. Vielleicht gab

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