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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Sarah-Jane sieht James an, den Untermieter, und der sieht Katja an. Katjas Blick jedoch ist auf Sonia gerichtet.
    »Zeig ihnen, was du kannst, Kleines«, sagt sie und setzt meine Schwester auf den Fußboden, setzt sie auf den Po, aber ohne sie zu stützen, wie sie das sonst immer tun muss. Nein, sie hilft Sonia behutsam, das Gleichgewicht zu finden, dann lässt sie den kleinen Körper los, und Sonia bleibt aufrecht sitzen.
    »Sie kann ohne Hilfe sitzen«, verkündet Katja stolz. »Ist das nicht ein Traum?«
    Meine Mutter steht auf. »Das machst du wirklich gut, Schatz«, ruft sie und läuft zu meiner Schwester, um sie zu umarmen. Sie sagt: »Danke, Katja«, und lächelt, und ihr Gesicht strahlt vor Glück.
    Großvater sagt kein Wort, er sieht gar nicht zu Sonia hin. Großmutter murmelt: »Sehr schön, meine Liebe«, und behält Großvater im Auge.
    Sarah-Jane Beckett macht eine höfliche Bemerkung und versucht, James, den Untermieter, in ein Gespräch zu verwickeln. Aber ohne Erfolg: James ist auf Katja fixiert wie ein ausgehungerter Köter auf ein saftiges Stück Fleisch.
    Und Katja ihrerseits ist ganz auf meinen Vater fixiert. »Schauen Sie, wie schön sie das macht!«, ruft sie begeistert. »Und wie schnell sie lernt. O ja, Sonia ist ein braves großes Mädchen. Bei Katja blüht jedes Baby auf.«
    Jedes Baby! Wie hatte ich diese Worte und diesen Blick vergessen können! Wie hatte mir das bis zu diesem Moment entgehen können: was diese Worte und dieser Blick wirklich sagten. Was offensichtlich alle am Tisch verstanden, denn sie erstarrten wie die Figuren in einem Film, wenn er angehalten wird.
    Und einen Augenblick später - in Sekundenschnelle - nimmt meine Mutter Sonia hoch und sagt: »Ja, meine Liebe, das glauben wir Ihnen gern.«
    Ich habe es damals gesehen, und ich sehe es jetzt. Aber damals verstand ich es nicht, weil ich - Gott, wie alt war ich? Sieben? Welches Kind ist in diesem Alter schon fähig, das ganze Ausmaß einer Situation zu erfassen, in der es lebt? Welches Kind dieses Alters wäre fähig, einer einzigen kurzen, freundlich geäußerten Bemerkung zu entnehmen, dass eine Frau soeben schlagartig begriffen hat, dass sie in ihrem eigenen Heim betrogen wurde und immer noch betrogen wird?

9. November
    Er hat dieses Foto aufbewahrt, Dr. Rose. Alles, was ich weiß, geht zurück auf die Tatsache, dass mein Vater dieses eine Bild aufgehoben hat, eine Fotografie, die er selbst aufgenommen und heimlich verwahrt haben muss; wie sonst wäre sie in seinen Besitz gelangt?
    Ich sehe die beiden vor mir, an einem sonnigen Sommernachmittag. Er bittet Katja, in den Garten hinauszukommen, damit er von ihr und meiner Schwester ein Foto machen kann. Sonia, die von Katja im Arm gehalten wird, ist seine Legitimation. Sonia dient als Vorwand für die Aufnahme dieses Fotos, obwohl ihr Gesicht, so wie sie getragen wird, von der Kamera gar nicht erfasst werden kann. Das ist übrigens ein wichtiges Detail, denn Sonia ist ja nicht normal. Sonia ist behindert, und ein Foto von Sonia, deren Gesicht von den Kennzeichen ihrer Krankheit entstellt ist - der Schrägstellung der Lidachse, wie ich inzwischen gelernt habe, dem Epikanthus, dieser Hautfalte am Innenrand des oberen Augenlids, dem unverhältnismäßig kleinen Mund -, wäre meinem Vater immerwährende Erinnerung daran, dass er zum zweiten Mal in seinem Leben ein Kind gezeugt hat, das körperlich und geistig defekt ist. Darum will er dieses Gesicht gar nicht im Bild festhalten, aber er braucht Sonia, wie schon gesagt, als Vorwand.
    Sind er und Katja um diese Zeit bereits miteinander intim? Oder stellen sie es sich beide nur vor, während jeder auf ein Zeichen vom anderen wartet, das Zeichen eines Interesses, das noch nicht ausgesprochen werden kann? Wer von ihnen ergreift, als es schließlich so weit ist, die Initiative, und welcher Art ist diese Initiative, dieser erste Schritt, der die Richtung vorgibt, die sie bald einschlagen werden?
    An einem erstickend heißen Abend, einem jener Londoner Augustabende während einer Hitzeperiode, wenn es kein Entrinnen gibt vor der stickigen Luft, die, täglich von der Sonnenglut aufgeheizt und von den stinkenden Abgasen der Diesellaster auf den Straßen verpestet, auf die Stadt drückt, geht sie in den Garten, um frische Luft zu schnappen. Sonia ist endlich eingeschlafen, und Katja hat zehn kostbare Minuten für sich. Die Dunkelheit draußen lockt mit falscher Verheißung erlösender Kühle, und so geht sie hinaus in den Garten hinter

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