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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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dem Haus. Und dort findet er sie.
    »Ein schrecklicher Tag«, sagt er. »Ich verbrenne.«
    »Ich auch«, antwortet sie und sieht ihn unverwandt an. »Ich verbrenne auch, Richard.«
    Mehr braucht es nicht. Diese letzten Worte und insbesondere der Gebrauch seines Vornamens sind stillschweigende Erlaubnis. Er braucht keine weitere Aufforderung. Er drängt ihr entgegen, und so beginnt es. Und ich beobachte es vom Garten aus.

20
    Libby Neal war nie in Richard Davies' Wohnung gewesen, darum hatte sie, als sie Gideon von Temple aus dorthin fuhr, keine Ahnung, womit sie zu rechnen hatte. Hätte jemand sie nach ihren Erwartungen gefragt, so hätte sie gesagt, Gideons Vater führe wahrscheinlich ein Leben wie Gott in Frankreich. Bei dem Aufstand, den er machte, weil Gideon seit vier Monaten seine Geige nicht angerührt hatte, musste man vermuten, dass er es gewöhnt war, das Geld aus dem Fenster zu werfen, sich das allerdings nur leisten konnte, solange regelmäßig Kohle von Gideon rüberkam.
    Sie fragte deshalb ungläubig: »Hier?«, und sah sich mit einem Gefühl vager Enttäuschung um, als Gideon sie in einer Straße namens Cornwall Gardens bat, an den Bordstein zu fahren und zu parken. Die alten Kästen rechts und links waren - na gut - ziemlich edel, aber total heruntergekommen. Da und dort dazwischen gequetscht gab es ein paar Häuser, die ganz okay aussahen, aber den Rest konnte man echt vergessen.
    Es kam noch schlimmer. Gideon führte sie, ohne auf ihre Frage zu antworten, zu einem Haus, das man nur als Bruchbude bezeichnen konnte. Zwischen der hoffnungslos verzogenen Tür und dem Pfosten klaffte ein so breiter Spalt, dass zum Offnen eine Kreditkarte genauso gut getaugt hätte wie der Schlüssel, den Gideon benutzte. Drinnen gingen sie die Treppe hinauf zu einer weiteren Tür, die zwar nicht verzogen war, dafür aber mit einem grünen Schnörkel besprüht, der die Form eines Z hatte, als wäre ein irischer Zorro zu Besuch gewesen.
    »Dad?«, rief Gideon gedämpft, als er die Tür aufstieß und sie in die Wohnung seines Vaters traten. Bevor er in einer Küche gleich neben dem Wohnzimmer verschwand, sagte er zu Libby:
    »Warte hier«, was diese nur zu gern tat. Dass Richard Davies in so einer Bruchbude hauste, hätte sie ihm nicht zugetraut.
    Erst mal, was war mit dem Farbgefühl des Mannes los? Sie war selbst keine Expertin für Raumausstattung - solche Geschichten überließ sie lieber ihrer Mutter und Schwester, die total auf Feng Shui standen. Aber sogar sie merkte, dass bei den Farben hier garantiert jeder nur noch den Wunsch hatte, von der nächsten Brücke zu springen. Kotzgrüne Wände. Kackebraune Möbel. Und dazu so krankes Zeug wie der Akt ohne Kopf mit dem Schamhaar, das aussah wie das Innere einer Kloschüssel, wenn gerade die Spülung lief. Was sollte das bloß bedeuten? Über dem offenen Kamin - der aus irgendeinem unerfindlichen Grund mit Büchern gefüllt war - waren abgesägte Äste zu einem kreisrunden Objekt an die Wand geschlagen. Sie sahen aus wie Spazierstöcke, geschmirgelt und poliert, und sie waren mit Löchern versehen, durch die Lederschnüre gefädelt waren. So was Irres, und dann noch über dem Kamin!
    Das Einzige, was in diesem Zimmer Libbys Erwartungen entsprach, waren die vielen Fotos von Gideon. Es waren Massen, und alle konnte man sie unter demselben langweiligen Thema ablegen: die Geige. Überraschung!, dachte Libby. Wär ja ein Wunder gewesen, wenn Richard irgendwo ein Foto von Gideon gehabt hätte, auf dem der zur Abwechslung mal bei einer Tätigkeit gezeigt wurde, die ihm Spaß machte. Beim Drachensteigen auf dem Primrose Hill, zum Beispiel. Oder bei der Landung mit seinem Segelflieger. Oder wie er gerade einem kleinen Bengel aus dem East End zeigte, wie man eine Geige hielt, anstatt sie selber zu halten und zu spielen und eine Riesengage dafür zu kassieren. Aber nein, das wäre ja unmöglich gewesen. Einen Tritt in den Hintern sollte man Richard geben, dachte Libby. Der tat doch überhaupt nichts dafür, dass es Gideon besser ging.
    Sie hörte, wie in der Küche quietschend ein Fenster geöffnet wurde, hörte Gideon in den Garten hinaus, der sich links vom Haus befand, nach seinem Vater rufen. Aber dort draußen war Richard offensichtlich auch nicht, denn nach ungefähr dreißig Sekunden und einigen weiteren Rufen wurde das Fenster zugeschlagen. Gideon kam ins Wohnzimmer zurück, ging aber gleich weiter in den Flur.
    Da er diesmal nicht »Warte hier« sagte, folgte ihm Libby.

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