11 - Nie sollst Du vergessen
einlegen musste. Unterwegs erzählte er ihr kurz, was geschehen war.
Er sei auf der Suche nach dem, was ihm vorschwebte, in mehr als ein Geschäft gegangen, sagte er. Am Ende hatte er mehr eingekauft, als er eigentlich vorgehabt hatte, und in den Menschenmassen draußen auf den Bürgersteigen erwiesen sich die Einkaufstüten als sperrig und hinderlich.
»Ich habe einfach nicht aufgepasst«, sagte er. »Es waren so viele Menschen.«
Er war auf dem Weg zur Tiefgarage am Portman Square, wo er seinen Granada geparkt hatte. Auf den Bürgersteigen wimmelte es von Menschen: Leute, die noch einen schnellen letzten Einkauf in der Oxford Street machen wollten, ehe die Geschäfte schlossen, Geschäftsleute auf dem Heimweg, Gruppen von ausgelassenen Schülern, die Obdachlosen auf der Suche nach einer Türnische für die Nacht und ein paar Münzen, um sich etwas zu essen kaufen zu können.
»Du weißt ja, wie es in der Stadt um diese Zeit zugeht«, sagte er.
»Es war Wahnsinn, sich in dieses Getümmel zu stürzen, aber ich wollte es einfach nicht länger aufschieben.«
Der Stoß, erklärte er, traf ihn aus dem Nichts, als eben ein Bus der Linie 74 von seiner Haltestelle ausscherte. Ehe er wusste, wie ihm geschah, fiel er direkt vor das Fahrzeug. Ein Rad fuhr über - »Über deinen Arm«, sagte Jill. »Ach, dein Arm. Oh, Richard ...«
»Die Polizisten sagten, ich hätte großes Glück gehabt«, schloss Richard. »Es hätte - du weißt, was hätte geschehen können.« Wieder legte er auf dem Weg zu Jills Wagen eine kurze Rast ein.
Jill sagte zornig: »Die Leute sind heutzutage dermaßen rücksichtslos. Ständig sind sie in Eile. Sie laufen mit ihren Handys am Ohr durch die Straßen und achten nicht auf die anderen.« Sie berührte seine verletzte Wange. »Komm, ich bring dich nach Hause, mein Schatz. Ich verwöhne dich ein bisschen.« Liebevoll lächelnd sah sie ihn an »Ich mache dir eine schöne Bouillon und pack dich ins Bett.«
»Heute Abend muss ich zu mir nach Hause«, sagte er. »Verzeih mir, Jill, aber die Nacht auf deinem Sofa zu verbringen ...«
»Aber natürlich, nein, unmöglich. Ich fahr dich zu dir.« Sie nahm die fünf Tüten in die andere Hand.
Sie waren wirklich schwer und unhandlich. Kein Wunder, dass er abgelenkt gewesen war.
»Was hat die Polizei denn mit der Person gemacht, die dich gestoßen hat?«, fragte sie.
»Sie wissen noch nicht, wer es war.«
»Sie wissen nicht -? Wie ist das möglich, Richard?«
Er zuckte die Achseln. Sie kannte ihn gut genug, um sofort zu wissen, dass er etwas verheimlichte.
»Richard!« sagte sie »Der Mensch hat sich nicht blicken lassen, nachdem ich angefahren worden war. Es kann gut sein, dass der oder die Betreffende von meinem Sturz gar nichts bemerkt hat. Es ging so schnell und passierte genau in dem Moment, als der Bus vom Bordstein wegfuhr. Wenn derjenige es eilig hatte ...« Er zog sein Jackett, das er sich wegen des Gipses am Arm nur übergehängt hatte, fester über die Schulter. »Am liebsten würde ich es einfach vergessen.«
»Aber irgendjemand muss doch was beobachtet haben«, insistierte Jill.
»Sie waren dabei, die Leute zu befragen, als der Rettungswagen mich wegbrachte.« Er bemerkte den Humber, den Jill so verboten stehen gelassen hatte, und humpelte schweigend auf ihn zu.
Jill folgte ihm. »Richard, du verschweigst mir doch etwas!«
Er antwortete ihr erst, als sie den Wagen erreicht hatten. »Sie vermuten, dass es Absicht war, Jill.« Dann fügte er hinzu: »Wo ist Gideon? Er muss gewarnt werden.«
Wie ein Automat öffnete Jill die Autotür, klappte den Sitz nach vorn und legte die Tüten auf den Rücksitz. Sie half Richard in den Wagen und rutschte dann neben ihm hinter das Lenkrad. »Was soll das heißen - Absicht?« Sie blickte starr geradeaus auf die Spuren, die der Regen auf der Windschutzscheibe hinterließ, und versuchte, ihre Angst zu verbergen.
Er gab ihr keine Antwort. Sie wandte sich ihm zu. »Richard, was meinst du mit ›Absicht‹? Gibt es da einen Zusammenhang mit -«
Und da sah sie, dass er auf dem Schoß den Bilderrahmen hielt, den sie unter dem Sitz gefunden hatte.
»Woher hast du das?«, fragte er.
Sie erklärte es ihm und fügte hinzu: »Aber ich verstehe nicht ... Wo ist das hergekommen? Wer ist sie? Ich kenne sie nicht. Das kann doch nicht ...« Jill zögerte, sie wollte es nicht aussprechen.
Richard tat es für sie. »Das ist Sonia, meine Tochter.«
Jill hatte ein Gefühl, als legte sich plötzlich ein Ring aus
Weitere Kostenlose Bücher