11 - Nie sollst Du vergessen
vorgelesen - andere Möglichkeiten des abendlichen Zeitvertreibs hatte es damals in Rhodesien für Kinder allerdings auch kaum gegeben -, und er sagte sich gern, dass diese frühe Einführung in die Literatur, die er und Connie ihren Töchtern hatten angedeihen lassen, sich unter anderem in Respekt vor dem geschriebenen Wort und dem Willen, nur an einer erstklassigen Universität zu studieren, niedergeschlagen hatte.
Er freute sich deshalb, als er diese junge Mutter mit einem ganzen Stapel Kinderbücher zur Kasse kommen sah, und erkundigte sich sogleich, ob man ihr als Kind auch vorgelesen habe? Ob ihr Kleiner denn schon eine Lieblingsgeschichte habe; ob es nicht erstaunlich sei, wie rasch Kinder sich für eine Geschichte begeisterten, die man ihnen einmal vorgelesen hatte, und wie sie sie immer wieder zu hören verlangten.
Den silbernen Bentley nahm er nur beiläufig wahr und dachte bei seinem Anblick ebenso beiläufig nichts weiter als: ein toller Wagen. Erst als die Insassen ausstiegen und den Weg zu Eugenies Haus einschlugen, verabschiedete er sich freundlich von seiner Kundin und trat näher zum Fenster, um die Fremden zu beobachten.
Sie waren ein seltsames Paar. Der Mann, groß, blond, sportlich, trug einen dieser edlen Anzüge, die, wie ein erstklassiger Wein, mit den Jahren immer nobler werden. Seine Begleiterin, klein und pummelig, hatte rote Baseballstiefel an, eine schwarze Hose und einen voluminösen dunkelblauen Kolani, der ihr bis zu den Knien reichte. Noch ehe sie die Wagentür hinter sich zugeschlagen hatte, zündete sie sich eine Zigarette an, was Ted veranlasste, angewidert die Lippen zu kräuseln - die Tabakhersteller dieser Welt würden garantiert auf ewig in der Hölle schmoren -, der Mann jedoch hielt direkt auf Eugenies Haustür zu.
Ted wartete, glaubte, er würde anklopfen. Aber das tat er nicht. Während seine Begleiterin hektisch an ihrer Zigarette zog, betrachtete der Mann prüfend einen Gegenstand in seiner Hand, den Schlüssel zu Eugenies Haus, wie sich zeigte, als er das Objekt ins Schloss schob. Die Tür öffnete sich, und nach einer kurzen Bemerkung des Mannes zu seiner Begleiterin trat das Paar ins Haus.
Ted war schockiert. Erst nachts um eins dieser unbekannte Mann, dann gestern Abend derselbe Mann auf dem Parkplatz, eindeutig, um Eugenie abzupassen, und nun diese beiden Fremden im Besitz eines Schlüssels zum Haus. Ihm war klar, dass er sofort eingreifen musste.
Er sah sich im Laden um. Zwei Kunden waren noch da. Der alte Mr. Horsham - so nannte Ted ihn, weil er so froh war, dass es in Henley jemanden gab, der älter war als er - hatte einen Band über Ägypten vom Bord genommen, schien aber eher sein Gewicht als seinen Inhalt zu prüfen, und Mrs. Dilday las wie gewohnt ein weiteres Kapitel eines Buchs, das sie nicht zu kaufen gedachte. Es gehörte zu ihrem täglichen Ritual, einen Bestseller auszuwählen und sich mit ihm unauffällig in den hinteren Teil des Ladens zurückzuziehen, wo es bequeme Sessel gab. Wenn sie dann ein oder zwei Kapitel gelesen hatte, pflegte sie die Stelle mit einer alten Rechnung vom Supermarkt einzumerken und das Buch unter den antiquarischen Bänden von Salman Rushdie zu verstecken, wo es - dem Geschmack der Bürger von Henley sei Dank - nicht bemerkt werden würde.
Beinahe zwanzig Minuten wartete Ted darauf, dass seine beiden Kunden endlich das Feld räumen würden und er sich einen Grund ausdenken könnte, ins Haus gegenüber zu laufen. Als der alte Horsham endlich für einen lohnenden Betrag das Ägyptenbuch erstand und mit der Bemerkung »Ich war dort an der Front« zwei Zwanzigpfundnoten aus einer Brieftasche zog, die ihrem Aussehen nach mit ihrem Eigentümer zusammen »dort an der Front« gewesen war, begann Ted Hoffnung zu schöpfen. Aber sein Blick auf Mrs. Dilday machte diese gleich wieder zunichte. Wie festgemauert saß die alte Dame in ihrem Lieblingssessel, zu allem Überfluss auch noch mit einer Thermosflasche Tee versehen, und las und trank so still vergnügt vor sich hin, als wäre sie bei sich zu Hause.
Haben Sie noch nie was von öffentlichen Bibliotheken gehört, hätte Ted am liebsten zu ihr gesagt. Aber er begnügte sich damit, abwechselnd Mrs. Dilday zu beobachten und mit telepathischen Marschbefehlen zu bombardieren, und zum Fenster hinauszuschauen, um vielleicht etwas über die Leute zu erfahren, die in Eugenies Haus waren.
Als er sich gerade dem Wunschtraum hingab, Mrs. Dilday würde tatsächlich den Roman kaufen und nach
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