11 - Nie sollst Du vergessen
Hause gehen, um ihn zu lesen, klingelte das Telefon. Ohne den Blick von Eugenies Haus abzuwenden, griff er, nach dem Hörer suchend, hinter sich und hob ab, als es zum fünften Mal klingelte.
»Wileys Buchhandlung«, sagte er, und eine Frau fragte: »Wer spricht bitte?«
»Major Ted Wiley«, antwortete er. »Im Ruhestand. Und wer sind Sie bitte?«
»Sind Sie der Einzige, der diesen Anschluss benutzt, Sir?«
»Wie bitte? Sind Sie von der Telefongesellschaft? Gibt es ein Problem?«
»Wir haben über eins-vier-sieben-eins festgestellt, dass Sie der Letzte waren, der diesen Anschluss hier, von dem aus ich spreche, angerufen hat. Er ist auf Eugenie Davies eingetragen.«
»Das ist richtig. Ich habe sie heute Morgen angerufen«, sagte Ted, bemüht, ruhig zu bleiben. »Wir sind zum Abendessen verabredet.« Und dann musste er die Frage doch stellen, obwohl er die Antwort schon wusste. »Ist etwas nicht in Ordnung? Ist etwas passiert? Bitte sagen Sie mir, wer Sie sind.«
Er hörte gedämpft, dass die Frau mit einer anderen Person im Raum sprach, konnte aber nicht verstehen, was, da sie die Sprechmuschel offenbar zudeckte. Dann sagte sie: »Metropolitan Police, Sir.«
Metropolitan ... das hieß London. Plötzlich sah Ted es ganz deutlich vor sich: Eugenie in Finsternis und strömendem Regen in ihrem kleinen Polo auf der Fahrt nach London. Trotzdem fragte er: »Londoner Polizei?«
»Ja«, bestätigte die Frau am Telefon. »Darf ich fragen, wo Sie gerade sind, Sir?«
»Gegenüber von Mrs. Davies' Haus. In der Buchhandlung -«
Weitere unverständliche Beratungen. Dann: »Würden Sie freundlicherweise hier herüberkommen, Sir? Wir haben ein, zwei Fragen.«
»Ist denn etwas ...« Ted brachte es kaum über sich, die Worte auszusprechen, aber sie mussten gesagt werden, wenn auch nur deshalb, weil die Polizei sie ganz sicher erwartete. »Ist Mrs. Davies etwas zugestoßen?«
»Wir können auch zu Ihnen kommen, wenn Ihnen das besser passt.«
»Nein, nein. Ich komme sofort. Ich muss nur noch den Laden schließen, dann -«
»Gut, Major Wiley. Wir werden noch eine Weile hier sein.«
Ted ging nach hinten, um Mrs. Dilday mitzuteilen, dass ein Notfall ihn zwinge, den Laden vorübergehend zu schließen.
»Ach, du meine Güte«, sagte sie. »Es ist doch hoffentlich nichts mit Ihrer Mutter?« Und das war in der Tat der Notfall, der am plausibelsten schien: der Tod seiner Mutter, obwohl sie mit ihren neunundachtzig Jahren und trotz eines Schlaganfalls quicklebendig war.
»Nein, nein«, antwortete er. »Es ist nur - ich muss dringend etwas erledigen.«
Sie musterte ihn scharf mit zusammengekniffenen Augen, gab sich dann aber mit dieser vagen Auskunft zufrieden. Nervös wartete Ted, während sie ihren Tee austrank, in ihren Wollmantel schlüpfte, ihre Handschuhe überzog und - ohne den geringsten Versuch, irgendetwas zu vertuschen - den Roman, den sie gerade las, hinter eine Ausgabe der Satanischen Verse schob.
Sobald sie weg war, lief Ted nach oben in seine Wohnung. Sein Herz war außer Rand und Band, bald flatterte es, bald hämmerte es schmerzhaft, und er merkte, wie ihm schwindlig wurde. Mit dem Schwindelgefühl stellten sich Stimmen ein, so lebendig, dass er sich in der Erwartung, tatsächlich jemanden im Zimmer zu sehen, hastig umdrehte.
Zuerst noch einmal die Stimme der fremden Anruferin: »Metropolitan Police. Wir haben ein, zwei Fragen.«
Dann Eugenies Stimme: »Wir werden miteinander sprechen. Es muss so vieles gesagt werden.«
Und danach sprach unerklärlicherweise Connie zu ihm, Connie, die ihn besser gekannt hatte als jeder andere Mensch: »Du kannst es mit jedem Mann aufnehmen, Ted Wiley.«
Warum jetzt?, fragte er sich. Warum sprach Connie gerade jetzt zu ihm?
Aber eine Antwort gab es nicht. Nur die Frage blieb. Und das, was im Haus gegenüber wartete und durchgestanden werden musste.
Während Lynley die Briefe durchsah, die er dem Pappmacheeständer in der Küche entnommen hatte, stieg Barbara Havers über eine schmale Treppe in die erste Etage des kleinen Hauses hinauf. Vom Treppenabsatz, der kaum eine Körperdrehung erlaubte, gingen zwei Zimmer, klein wie Kammern, und ein altmodisches Badezimmer ab. Die beiden Räume waren so spartanisch eingerichtet wie das Wohnzimmer; im Ersten gab es genau drei Möbelstücke: ein schmales Bett mit einem schlichten Überwurf, eine Kommode und einen Nachttisch, den eine weitere Lampe mit Fransenschirm zierte. Der zweite Raum diente als Nähzimmer. In ihm stand das neben
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